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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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er leise die Wagentür, stieg aus und ging durch die Nacht auf das Haus zu.
    Er sagte sich, daß es nur eine Erkundung sei, daß er nur versuche, das Ausmaß des Schadens festzustellen und zu sehen, ob sie schon da waren. Vorsichtig, einen tastenden Schritt nach dem anderen, bewegte er sich durch das Waldstück, das sein Grundstück von dem des Nachbarn trennte, und trat, umschwirrt von einer Moskitowolke, unter den Bäumen hervor. Lautlos schlich er am Rand der unteren Rasenfläche entlang, des Rasens, den er selbst gemäht hatte. Seine Vans waren naß vom Tau, und seine Augen waren auf das dunkel aufragende Haus gerichtet. Kein Licht, alles ruhig, brütend, normal, das Dach in Mondlicht getaucht, und im Dunkeln konnte er die kühle grüne LED -Anzeige der Alarmanlage in der Küche erkennen. Lange Zeit hockte er dort im Schatten und überlegte, wie er, ohne den Alarm auszulösen, durch ein Fenster im Untergeschoß schlüpfen könnte, um das Notizbuch mit den Namen und alles andere Belastende zu holen, die Kreditkartenabrechnungen auf die Namen Dana Halter und Bridger Martin, aber wenn sie das Haus beobachteten, hatte er keine Chance, denn der Mond schien und sein Anzug war hell. Hätte er ein bißchen vorausgedacht, dann wäre er zum K-Mart gefahren und hätte einen schwarzen Sweatsuit mit Kapuze gekauft, aber er hatte nicht vorausgedacht. Das war eben das Problem. Das war der Grund, warum es überhaupt so weit gekommen war.
    Er wollte gerade auf die Rasenfläche treten, als ein leises Geräusch die Nacht zerschnitt, ein mechanisches Zischen, das sich von der Zufahrt her durch die schwere, dichte Luft tastete, sich wellengleich über die Grashalme ausbreitete und an der Schallschutzwand des Waldes erstarb. In Pecks angestrengt lauschenden Ohren klang es wie das verstohlene Öffnen einer Wagentür: Eine Hand zog langsam am Hebel, die Innenbeleuchtung war ausgeschaltet, nur die ungeschmierten Scharniere protestierten. Herrgott! Was machte er hier? Er glitt zurück in den Schatten. Auf Händen und Knien kroch er am Rand des Rasens entlang und achtete auf jeden verräterischen Ast oder Zweig, in den Ohren das Wummern seines Herzens, entschlossen, sich mit eigenen Augen zu überzeugen – denn es konnte ja Natalia sein, in seiner Phantasie jedenfalls, Natalia, die nicht ohne ihn gehen wollte, die auf ihn wartete, damit sie gemeinsam alles Nötige zusammenpacken und verschwinden konnten, bevor morgen früh die Bullen mit ihrem Durchsuchungsbefehl kamen.
    Ein weiteres Geräusch. So entfernt und gedämpft, daß er nicht sicher war, es überhaupt gehört zu haben. Er erstarrte. Strengte die Augen an und spähte über den vom Mondlicht gesprenkelten Rasen in den Schattenklumpen der Zufahrt, wo ein dunklerer, dichterer Schatten war, das schwärzeste Loch des Universums. Was war es – ein Wagen? Unter den Bäumen geparkt, damit man ihn nicht sah? Und dann wieder das Geräusch, leise, aber unverkennbar, der Protest eines getretenen Kieselsteins, ein leiser Schritt und noch einer, dann das sirrende Kratzen eines Reißverschlusses und schließlich das Geräusch, mit dem ein feiner, gezielter Wasserstrahl den Kies traf. Mehr brauchte er nicht zu hören. Es machte ihn hart. Der Alkohol in seinen Adern verflog, als hätte es ihn nie gegeben, und wurde sofort durch einen Schuß Adrenalin ersetzt, das ihn befähigte zu kämpfen, zu töten, zu fliehen, und kein Geschöpf der Nacht, kein Opossum, kein Waschbär, keine Mokassinschlange war so lautlos wie er.
    Als er den Wagen erreicht hatte, ließ er sich geräuschlos auf den Fahrersitz gleiten, startete und fuhr auf der Zufahrt seiner Nachbarn langsam in Richtung Landstraße. Dort wartete er mit ausgeschalteten Scheinwerfern, bis er einen Wagen kommen sah. Er schaltete das Licht ein, hängte sich an den anderen und fuhr Richtung Süden.
    Er konnte sich nicht erinnern, was er in jener Nacht geträumt hatte, wenn er überhaupt geträumt hatte. Er tauchte, geweckt vom unvermittelten, scharfen Stechen eines Sonnenstrahls, der über den unteren Rand der Heckscheibe gekrochen war und ihm ins Gesicht schien, aus einem großen Nichts auf. Für einen Augenblick wußte er nicht, wo er war, doch dann erkannte er seine Umgebung wieder: den grauen Teppich und die Ledersitze, das Stilleben des Armaturenbretts und den Bogen des Lenkrads. Eine mit intensiver, beinahe schmerzhafter Klarheit gezeichnete Welt aus scharf konturierten Blättern drängte gegen die geschlossenen Fenster. Er lag auf der

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