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Talk Talk

Talk Talk

Titel: Talk Talk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Gleisbett verlegten Schienen und Weichen, den Fluß, die offene Weite –, als sie plötzlich, abrupt und ohne den Blinker zu setzen, abermals links abbog, und ihm nichts anderes übrigblieb als geradeaus weiterzufahren. Hatte sie ihn bemerkt? Dieser Gedanke ließ sein Herz schneller klopfen. Fluchend riß er ebenfalls das Steuer herum, und die wuchtige Schnauze des Geländewagens fuhr rumpelnd und mit so viel Schwung in die nächstbeste Garageneinfahrt, daß die Vorderräder beinahe abhoben, und für einen Augenblick sah er in das erstarrte Gesicht eines Kindes auf einem Dreirad, das er um ein Haar in Hackfleisch verwandelt hätte, und dann hatte er schon zurückgesetzt, gab Gas und jagte um die Ecke, ihr nach.
    Es war eine Sackgasse. Und das war hervorragend oder vielmehr: es wäre hervorragend gewesen, wenn nicht alles voller Kinder gewesen wäre, die auf spanisch herumschrien und sich so schnell, daß man gar nicht folgen konnte, einen Ball zuspielten, und da war sie, sie kam ihm entgegen, sah starr geradeaus und schaltete den linken Blinker ein. Er hätte sie frontal erwischen können, er hätte den Geländewagen in die Kühlerhaube dieser kleinen Blechkiste rammen und der Sache gleich hier ein Ende machen können, doch er tat es nicht, er konnte es nicht. Alle Kraft sickerte aus ihm heraus, und die Welt vor seinen Augen veränderte sich, bis er nicht mehr wußte, wo er war, was er hier wollte und warum er es wollte. Da-na , so hatte Natalia ihn immer genannt, und ihre Stimme hallte in seinen Ohren wider, Da-na, Da-na . Er fluchte laut, und das brachte ihn zurück in die Gegenwart. Sobald der Jetta vorbei war, riß er das Steuer herum und schwenkte zur gegenüberliegenden Straßenseite, wodurch er das Fußballspiel unterbrach. Der Ball prallte gegen die hintere Stoßstange und hoppelte über die Straße, als wäre alle Luft daraus entwichen. »He, Arschgesicht!« rief einer der Jungen. »Pendejo!« Es war ihm scheißegal, ob er sie allesamt über den Haufen fuhr – sie hatten doch Augen, oder? Und Ohren. Er drückte auf die Hupe. Kurbelte am Lenkrad. Den Bordstein hinauf und wieder hinunter, auf die Straße. »Puta! Puta!« Sie war jetzt schon am Ende des Blocks, bog in die Hauptstraße ein und fuhr den Hügel hinab in Richtung Bahnhof.
    Er sah zu, wie sie parkte, wie sie sich noch einmal im Spiegel begutachtete und dann ausstieg, den Kopf in den Nacken legte und die zusammengeballten, dunkel verfärbten Wolken betrachtete, die das Licht aus dem Himmel preßten. Ganz langsam, als würde er gar nicht fahren, sondern auf einer ihren eigenen Gesetzen gehorchenden Strömung dahinschweben, rollte er an ihr vorbei und parkte in einer Lücke zwei Wagen weiter. Er blieb sitzen und betrachtete ihre Schultern und ihre schwingenden Hüften über den angespannten, gemächlichen Muskeln des Hinterns und der Beine, als sie zum Eingang des Bahnhofsgebäudes ging. Sie ahnte nichts. Die Schlampe. Die Schlampe ahnte nichts, im Gegensatz zu ihm – er kannte das ganze Bild, er war dabei, das letzte Puzzlestück einzufügen. Er stellte den Motor ab und stieg aus. Schloß nicht ab. Ließ den Schlüssel stecken. Und die Parkuhr... die Parkuhr war ein Witz.
    Plötzlich schien die Luft ringsumher zu kochen, die Hitze sprang ihm ins Gesicht, und dann kamen ein Windstoß und ein unvermitteltes Donnern. Als der Regen begann, ging er nicht schneller und versuchte nicht, sich unterzustellen, denn jetzt gab es keinen Spielraum mehr – er war voll und ganz auf sie konzentriert, auf ihren Rücken, die Schultern, den Farbfleck in ihrem Haar, und er schritt aus. Zielstrebig. Die Stufen hinauf zum Bahnsteig. Sein Gesicht war naß, die Haare waren naß, der Ansturm des Regens hatte sein Jackett jeder Form beraubt, und er drängte sich wie die anderen unter das Dach und roch die Ausdünstungen der Körper, mit denen er zusammenstieß, die er streifte und berührte. Der Donner rollte und ließ den Bahnsteig erbeben. Blitze fuhren über den Himmel.
    In diesem Augenblick stieß er sie. In diesem Augenblick senkte er die Schulter und stieß sie von hinten, nicht fest genug, um sie zu Fall zu bringen, nicht fest genug, um etwas anderes zu vermitteln als die unleugbare Wahrheit, die ihr Gesicht aus der Menge löste und ihm zu eigen machte, als hätte er es erschaffen: Er hatte sie. Sie war in seiner Gewalt. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, teilten sich ein und denselben Quadratmeter, waren vereint, vermählt, und er war der einzige, der

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