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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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lernte er bald zu erkennen, von welchem Geschöpf es stammte. Mit fortschreitendem Unterricht eignete er sich zudem die Fähigkeit an, in den Geist des jeweiligen Geschöpfs einzudringen, wenn es noch lebte, und durch dessen Augen zu sehen. So tapste er als Fuchs durch eine Weide und zerrte zu langsame Mäuse aus ihren Tunneln im braunen, eisverkrusteten Gras. Als Adler kreiste er auf der Suche nach streunenden Hühnern um die Feste. Bei der seltsamsten dieser Erfahrungen versetzte er sich in eine Forelle, die im gedämpften, braunen Licht unter dem Eis des Flusses schwamm, und erblickte den juwelenbesetzten Ring einer Frau, der zwischen den seidigen Schleimsträngen funkelte, die das Flussbett überzogen.
    Zur Abschlussprüfung gab Lhel ihm einen Tropfen ihres eigenen Blutes, und er fand sich in ihrer Haut wieder. Die schlichten Geister der Tiere hatten ihm lediglich ein paar Bilder in Grautönen vermittelt. In Lhel jedoch spürte er rings um sich das Gewicht ihres Leibes, als trüge er ihr Fleisch wie ein Gewand über dem eigenen. Er spürte das Herabhängen ihrer Brüste unter ihrem zerlumpten Kleid, den Schmerz, der ihren linken Knöchel heimsuchte, die wohlige Wärme ihrer Vereinigung zwischen ihren Schenkeln. Nach einem Augenblick der Verwirrung erkannte er, dass er sich selbst durch ihre Augen betrachtete. Sein Körper lag neben dem Feuer auf der Pritsche, reglos wie ein Leichnam unter der Pelzrobe. Mit einer Mischung aus Verdruss und Belustigung begutachtete er seine langen, knochigen Glieder, das Vorstehen der Rippen unter der weißen Haut, den schwarzen Haarsaum, der seine Brust und seinen Rücken, seine Arme und Beine bedeckte. Der Ausdruck in seinem Gesicht wirkte verklärt wie der eines Tempelorakels, wenn es vom jeweiligen Gott berührt worden war.
    Doch trotz alledem hatte er keinen Zugriff auf Lhels Gedanken. Die wollte sie nicht mit ihm teilen.
    Als seine Furcht vor ihrer Magie schwand, begann sie, ihm ein paar grundlegende Dinge über Geister zu offenbaren.
    »Wie hast du die Veränderung in Tobin bewirkt?«, fragte er eines Tages, als der Wind um die Eiche heulte.
    »Du gesehen.«
    »Ich habe gesehen, wie du ein Stück Haut zwischen den beiden vertauscht hast. Enthält die Haut die Magie?«
    »Es machen Haut eine Haut«, erwiderte sie und kramte nach den rechten Worten. »Wenn Tobin wieder soll sein Mädchen, diese Haut müssen weg.«
     
    Arkoniel war jedoch nicht immer ihr Schüler. Umgekehrt half er ihr, die Sprache besser zu erlernen, und er zeigte ihr alle Arten, Feuer zu machen, die er kannte. Beim Vergleich ihrer beiden Fähigkeiten stellten sie fest, dass sie beide in der Lage waren, Wind heraufzubeschwören.
    Er brachte ihr die Zaubersicht der Orëska bei, im Gegenzug versuchte sie, ihm ihren › Lufttunnelzauber ‹ zu vermitteln. Dies jedoch entpuppte sich als schwieriger, als er erwartet hatte. Es lag nicht an der geflüsterten Beschwörung, auch nicht an den verschlungenen Handbewegungen, die der Bann erforderte, sondern an einer eigenartigen Gedankenverkrümmung, die er nicht begriff und die zu erklären ihr die Worte fehlten.
    »Es dir kommen wird«, versicherte sie ihm immer wieder. »Es dir kommen wird.«
     
    Zu Arkoniels Bestürzung war derjenige in der Feste, bei dem er die geringsten Fortschritte erzielte, ausgerechnet Tobin. Das Kind gebärdete sich anständig und schien entschlossen, alles zu meistern, was Arkoniel es zu lehren versuchte, dennoch blieb stets ein Abstand zwischen ihnen, der unüberbrückbar schien.
    Was Tobin ihm allerdings – sehr zu Arkoniels Erstaunen – verriet, war der Zauber, den er verwendete, um Bruder zu rufen. Arkoniel versuchte ihn selbst, jedoch ergebnislos. Bruder gehorchte nur Tobin.
    Als er mit Lhel darüber sprach, zuckte sie mit den Schultern und meinte: »Sie durch Fleisch verbunden. Das man nicht kann lernen durch Magie.«
    Arkoniel bedauerte, dies zu hören, denn der Geist fand häufig den Weg in sein Arbeitszimmer. Gesehen hatte er den Dämon seit jenem ersten Tag, an dem er ihn zum Narren gehalten und sein Pferd zum Scheuen gebracht hatte, nicht mehr, aber seine kalte, feindselige Gegenwart war unverkennbar. Der Geist schien es zu genießen, ihn zu quälen, und schaffte es nicht selten, ihn soweit zu bringen, dass sich ihm die Nackenhaare sträubten. Wenngleich er Arkoniel nie körperlichen Schaden zufügte, trieb er ihn öfter als einmal dazu, sich nach unten auf die Suche nach Tobin zu begeben.
     
    Der Frühling setzte früh und mit

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