Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
dies so gut wie Tobin, doch statt zu gehorchen, stieß er ein Johlen aus und sprang hinauf, um dem Reiter entgegenzulaufen.
»Ki, nein!«, brüllte Tobin und hielt ihn am Knöchel zurück.
Ki aber lachte nur. »Komm mit, das ist bloß Ahra!«
»Ahra? Deine Schwester?« Tobin folgte ihm, hielt sich jedoch scheu im Hintergrund. In Kis Geschichten wurde Ahra häufig als recht Furcht erregende Gestalt beschrieben.
Der Reiter erblickte sie und zügelte scharf das Pferd. »Bist du das, Ki?«
Es war tatsächlich eine Frau, die sich jedoch völlig von allen unterschied, die Tobin kannte. Über einem Kettenhemd trug sie dieselbe Art von Lederrüstung wie die Männer seines Vaters, und über ihren Rücken hingen ein Bogen und ein Langschwert. Ihr Haar war dunkelbraun wie das von Ki; vorne trug sie es geflochten, hinten wild und offen. Abgesehen davon ähnelte sie Ki wenig, zumal sie lediglich seine Halbschwester war.
Sie schwang sich herab und zog ihren Bruder in eine Umarmung, die ihn vom Boden hob. »Du bist es wirklich, Junge! Dürr wie eh und je, aber zwei Spannen gewachsen!«
»Was machst du hier?«, wollte Ki wissen, als sie ihn wieder auf die Füße stellte.
»Ich wollte sehen, wie es dir so geht.« Ahra sprach mit demselben, platten Landakzent, den Ki gehabt hatte, als er in der Feste eingetroffen war. »Vor ein paar Wochen bin ich auf der Straße deiner Zauberfrau begegnet, und sie hat mich gebeten, einen Brief für diesen anderen Zauberer herzubringen – einen Freund von ihr. Sie meinte, du würdest hier ganz ordentlich rangenommen.« Ahra grinste Tobin an. »Und wer ist der da mit Schlamm zwischen den Zehen? Iya hat nicht erwähnt, dass noch ein Junge geschickt worden ist, um dem Prinzen zu dienen.«
»Hüte deine Zunge«, warnte Ki sie. »Das ist der Prinz.«
Tobin trat vor, um sie zu begrüßen, und die Frau sank mit geneigtem Haupt vor ihm auf ein Knie. »Verzeiht, Hoheit. Ich kannte Euch nicht!«
»Wie solltest du auch? Bitte, steh auf!«, drängte Tobin sie, den es verlegen machte, dass sie vor ihm kniete.
Ahra erhob sich und schleuderte Ki einen finsteren Blick zu. »Hättest ruhig was sagen können.«
»Hast mir ja keine Gelegenheit gelassen, oder?«
»Es freut mich, dich kennen zu lernen«, sagte Tobin und schüttelte ihr die Hand. Nun, da seine anfängliche Überraschung verflogen war, verspürte er Neugier und war glücklich, endlich jemandem aus Kis Verwandtschaft zu begegnen. »Mein Vater ist nicht hier, aber du bist uns als Gast herzlich willkommen.«
»Es wäre mir eine große Ehre, Hoheit, aber mein Hauptmann hat mir nur bis zum Einbruch der Nacht frei gegeben. Der Rest der Truppe ist in Alestun und kauft Vorräte. Wir sind unterwegs nach Ylani, um dort im Sommer die Beutefahrer abzuwehren.«
»Ich hätte gedacht, dass du mit Jorvai, Vater und all den anderen nach Mycena gereist bist«, meldete sich Ki zu Wort.
Sie schnaubte verächtlich, und Tobin bekam einen flüchtigen Eindruck von ihrem sagenumwobenen Gemüt. »Sie sind ja auch hingereist, all die Jungen bis hinunter zum kleinen Amin, der grade mal ein Jahr älter ist als du. Er soll als Botenjunge dienen. Aber bei Sakor, der König will immer noch keine Frauen in den Rängen bei sich haben. Uns hat er bei den alten Männern und den Krüppeln gelassen, um die Küstenstriche zu bewachen.«
Während sie zur Feste hinaufgingen, berichtete Ahra ihrem Bruder Neuigkeiten von zu Hause. Ihre vierte Mutter, die nur ein Jahr älter als Ahra war, hatte kurz nach Kis Aufbruch Zwillinge geboren und war bereits wieder schwanger. Fünf der jüngeren Kinder hatte ein Fieber erfasst, aber nur zwei waren gestorben. Im Haus ging es ruhiger zu, da die sieben Ältesten fort waren; der Krieg war gerade rechtzeitig gekommen, um Alon davor zu bewahren, von einem benachbarten Ritter als Pferdedieb aufgeknüpft zu werden. Wenngleich dies alles bereits eine Weile zurücklag, verteidigte Ki inbrünstig die Unschuld seines Bruders bei dieser Angelegenheit und erboste sich über die Anklage.
Tobin nahm dies alles mit wachsendem Verzücken auf; er kannte all diese Menschen aus Kis Geschichten, doch nun sah er endlich jemanden davon in Fleisch und Blut. Außerdem mochte er Ahra und gelangte zu dem Schluss, dass Ki ihre Schattenseiten ein wenig übertrieben geschildert hatte. So wie er wirkte sie unverblümt und offen. Hinter ihren dunklen Augen lauerten keine Geheimnisse. Trotzdem erschien es Tobin seltsam, eine Frau ein Schwert tragen zu sehen.
Nari kam
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