Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
Ferne Sonnenlicht gleißen und hörte das Rauschen des Flusses unten.
»Komm, Tobin«, forderte sie ihn auf und ging zu einem Tisch neben einem Fenster. »Setz dich an deinem Namenstag eine Weile zu mir.«
Ein kleiner Hoffnungsschimmer flammte in Tobins Herz auf, und er rückte weiter in die Kammer vor. Sie hatte sich noch nie an seinen Geburtstag erinnert.
Das Zimmer wirkte heimelig und behaglich. An der gegenüberliegenden Wand stand ein langer Tisch, auf dem sich Dinge stapelten, die man zum Puppenmachen benötigte. Auf einem weiteren Tisch saßen fertige Puppen in einer Doppelreihe an der Wand – dunkelhaarig und mundlos wie immer, aber in Gewändern aus Samt und Seide, feiner als jene, die Tobin besaß.
Vielleicht hat sie mich hergebracht, um mir eine der Puppen zum Namenstag zu schenken , dachte er. Auch ohne Münder fand er die Puppen sehr hübsch. Hoffnungsvoll wandte er sich seiner Mutter zu. Einen Lidschlag lang sah er fast vor sich, wie sie lächeln und ihn auffordern würde, sich die Puppe auszusuchen, die ihm am besten gefiel, ein besonderes Geschenk nur von ihr. Aber seine Mutter stand lediglich am Fenster und zupfte mit den Fingern der freien Hand rastlos vorne an ihrem Rock, während sie auf den kahlen Tisch vor ihr hinabstarrte. »Ich sollte Kuchen hier haben, oder? Honigkuchen und Wein.«
»Davon haben wir immer in der Halle«, erinnerte Tobin sie und warf einen weiteren sehnsüchtigen Blick auf die Puppen. »Letztes Jahr warst du auch dort, weißt du noch? Bis der Dämon den Kuchen zu Boden geworfen hat und …«
Stockend verstummte er, als die Erinnerungen an jenen Tag ihn einholten. Seine Mutter war zunächst in Tränen ausgebrochen, als der Dämon aufgetaucht war, dann hatte sie zu kreischen begonnen. Sein Vater und Nari hatten sie weggetragen, und Tobin hatte die Reste des zerstörten Kuchens in der Küche mit Köchin und Tharin gegessen.
»Der Dämon?« Eine Träne rollte über die blasse Wange seiner Mutter, und sie umklammerte die hässliche Puppe fester. »Wie können sie ihn nur so nennen?«
Tobin schaute zur offen Tür und erwog zu fliehen. Sollte sie zu kreischen anfangen, könnte er die Treppe hinab davonlaufen, zurück zu Menschen, die ihn liebten und bei denen er sich darauf verlassen konnte, dass sie taten, was er erwartete. Er fragte sich, ob Nari wütend auf ihn sein würde, weil er nach oben gegangen war.
Aber seine Mutter kreischte nicht. Stattdessen sank sie auf einen Stuhl, weinte und drückte sich die hässliche Puppe ans Herz.
Tobin setzte sich zögerlich in Richtung der Tür in Bewegung, doch seine Mama wirkte so entsetzlich traurig, dass er stattdessen zu ihr ging und den Kopf an ihre Schulter lehnte, wie er es sonst bei Nari tat, wenn sie traurig war und Heimweh hatte.
Ariani schlang einen Arm um ihn, zog ihn an sich und streichelte ihm über das dichte, unbändige, schwarze Haar. Wie immer umarmte sie ihn zu heftig und streichelte ihn zu grob, dennoch blieb er und war selbst für diese Zuneigung dankbar. Ausnahmsweise ließ der Dämon ihn zufrieden.
»Meine armen Kinderlein«, flüsterte sie und wiegte Tobin. »Was sollen wir nur tun?« Sie fasste in das Oberteil ihres Kleids und holte einen winzigen Beutel hervor. »Streck deine Hand aus.«
Tobin gehorchte, und sie schüttelte zwei kleine Gegenstände heraus: einen Anhänger in Form eins Silbermonds und ein kleines Stück Holz, das an beiden Enden jenes rote Metall bedeckte, das er schon auf der Rückseite von Schilden gesehen hatte.
Sie ergriff erst den einen, dann den anderen Gegenstand und drückte die beiden nacheinander gegen Tobins Stirn, als erwartete sie, dass etwas geschehen würde. Als sich nichts ereignete, steckte sie seufzend beides wieder in den Beutel.
Immer noch mit Tobin in den Armen stand sie auf und zog ihn ans Fenster. Mit überraschender Kraft hob sie ihn hoch und stellte ihn auf den breiten Steinsims. Tobin schaute zwischen den Zehen seiner Pantoffel hinab und erblickte den Fluss, der mit weißem Schaum über die Felsen unten strömte. Wieder verängstigt klammerte er sich mit einer Hand an der Fensterlaibung fest, mit der anderen an der schmalen Schulter seiner Mutter.
»Lhel!«, brüllte sie in Richtung der Berge. »Was sollen wir tun? Warum kommst du nicht? Du hast versprochen, dass du kommen würdest!«
Sie ergriff Tobin hinten am Gewand, schob ihn leicht nach vorne und drohte, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
»Mama, ich will runter!«, flüsterte Tobin, der sie noch
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