Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
er damit meinte, war jedoch wie immer darauf bedacht, ihn zu erfreuen. Allerdings hatte er dabei wenig Glück. So sehr er sich bemühte, es gelang ihm einfach nicht, eine Verbindung zwischen den krummen, schwarzen Malen herzustellen, die sein Vater auf den Bogen zeichnete, und den Lauten, für die sie angeblich standen. Schlimmer noch, seine Finger, so geschickt sie dabei sein mochten, Wachs oder Lehm vom Flussufer zu formen, vermochten den kratzenden Federkiel nicht zu beherrschen. Er kleckste. Er rutschte ab. Er verfing sich am Pergament und spuckte Tinte in alle Richtungen. Seine Striche glichen Schlangenlinien, seine Schleifen wurden zu groß, und ganze Buchstaben endeten verkehrt herum oder auf den Kopf gestellt. Sein Vater zeigte sich geduldig, Tobin hingegen nicht. Tag für Tag kämpfte er, kleckste und kratzte vor sich hin, bis die schiere Hoffnungslosigkeit des Unterfangens ihn zum Weinen brachte.
»Vielleicht heben wir uns das besser für später auf«, räumte sein Vater schließlich ein.
In jener Nacht träumte Tobin davon, sämtliche Federkiele im Haus zu verbrennen, nur für den Fall, dass sein Vater es sich anders überlegte.
Zum Glück erfuhr Tobin keine solchen Schwierigkeiten beim Erlernen der Schwertkunst. Tharin hatte sein Versprechen gehalten; wann immer er sich in der Feste aufhielt, übten sie auf dem Kasernenhof oder in der Halle. Mit Holzschwertern und -schilden brachte der Hauptmann Tobin die Grundlagen von Hieben und Abwehrstößen bei, wie man angriff und wie man sich verteidigte. Tobin arbeitete bei diesen Lehrstunden inbrünstig und bewahrte sich in seinem Herzen sein Gelübde an die Götter und an seinen Vater; er würde ein großer Krieger werden.
Dieses Versprechen zu halten, fiel ihm nicht schwer, denn er liebte die Waffenübungen. Als er noch klein gewesen war, hatte er mit Nari oft den Männern dabei zugesehen, wie sie Schaukämpfe gegeneinander bestritten. Nun fanden sie sich ein, um ihn zu beobachten, indem sie sich aus den Kasernenfenstern lehnten oder auf Kisten und Hockern vor dem langen Gebäude saßen. Sie bedachten ihn mit Ratschlägen, scherzten mit ihm und traten vor, um ihm ihre eigenen, besonderen Kniffe und Drehs zu zeigen. Tobin standen so viele Lehrer zur Verfügung, wie er wollte. Tharin ließ ihn manchmal gegen die Linkshänder Manies oder Aladar antreten, um ihm vor Augen zu führen, wie anders es war, gegen einen Mann zu kämpfen, der die Waffe auf derselben Seite wie man selbst führte. Zwar konnte er ob seiner geringen Größe noch gegen niemanden richtig kämpfen, aber sie gingen die Bewegungen mit ihm durch und vermittelten ihm, so viel sie konnten. Koni, der Pfeilmacher, der Kleinste und Jüngste der Garde, kam Tobin in der Größe am nächsten. Zudem fühlte er sich Tobin auch so besonders nah, weil sie beide gerne Dinge herstellten. Tobin machte ihm Wachstiere, und im Gegenzug brachte Koni ihm bei, wie man Pfeilschäfte und Pfeifen aus Zweigen schnitzte.
Wenn Tobin seine Übungen für den Tag beendet hatte, luden die anderen ihn ein, mit ihnen zu schießen, oder sie erzählten Geschichten über die Schlachten, die sie gegen die Plenimarer geschlagen hatten. Den großen Helden dieser Schilderungen verkörperte Tobins Vater, stets an vorderster Front, immer der Tapferste auf dem Feld. Auch Tharin kam groß zur Geltung und kämpfte den Erzählungen zufolge stets an der Seite seines Vaters.
»Bist du schon immer bei Vater gewesen?«, fragte Tobin den Hauptmann eines Wintertages, als sie sich zwischen zwei Übungen ausruhten. In der Nacht zuvor hatte es geschneit. Um den Mund, wo sein Atem gefroren war, schimmerte Tharins Bart weiß.
Er nickte. »Mein ganzes Leben. Mein Vater war einer der Lehnsmänner deines Großvaters. Ich war sein dritter Sohn und wurde im selben Jahr wie dein Vater in Atyion geboren. Wir sind zusammen aufgewachsen, beinah wie Brüder.«
»Also bist du fast mein Onkel?«, hakte Tobin nach, den die Vorstellung freute.
Tharin zerzauste Tobin das Haar. »So gut wie, mein Prinz. Als ich alt genug war, wurde ich zu seinem Knappen, und später machte er mich zu einem Ritter und verlieh mir meine Ländereien in Falkenport. Wir sind noch nie in einer Schlacht getrennt worden.«
Tobin dachte über all das eine Weile nach, dann fragte er: »Warum habe ich keinen Knappen?«
»Oh, du bist noch zu jung dafür. Ich bin sicher, du wirst einen haben, wenn du älter bist.«
»Aber keinen, mit dem ich zusammen aufgewachsen bin«, warf Tobin
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