Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
den halben Weg nach Hause zurückgelegt, bevor sein Vater zurückschaute und es sah.
»Ach, Tobin!« Er zügelte das Pferd und wartete, bis Tobin zu ihm aufschloss. Wütend wirkte er nicht mehr, nur erschöpft und traurig, als er grob in Richtung der Stadt deutete und sagte: »Puppen … sind dummes, dreckiges Zeug. Jungen spielen nicht damit, erst recht nicht Jungen, die einmal tapfere Krieger werden wollen. Verstehst du das?«
Die Puppe ! Eine frische Woge von Scham spülte über Tobin hinweg. Deshalb war sein Vater so wütend geworden. Sein Herz sank noch tiefer, als ihn eine weitere Erkenntnis ereilte. Deshalb hatte auch seine Mutter ihm an jenem Morgen keine Puppe geschenkt. Es war schändlich, dass er sich eine wünschte.
Tobin fühlte sich zu entsetzt über sich selbst, um sich zu fragen, warum niemand, nicht einmal Nari, daran gedacht hatte, es ihm zu sagen.
Sein Vater klopfte ihm auf die Schulter. »Lass uns nach Hause reiten und deinen Kuchen essen. Morgen beginnt Tharin mit deiner Ausbildung.«
Als sie jedoch zu Hause eintrafen, war ihm zu übel, um Honigkuchen zu essen oder Wein zu trinken. Nari betastete seine Stirn, erklärte ihn für erschöpft und steckte ihn ins Bett.
Er wartete, bis sie gegangen war, dann griff er unter das Kissen, um die vier kleinen, dort versteckten Stockmännchen hervorzuholen. Was früher ein vergnügliches Geheimnis gewesen war, brachte seine Wangen nunmehr zum Lodern. Auch das waren Puppen. Tobin kramte alle zusammen, schlich damit nach nebenan und stellte sie auf einen der Marktplätze der Spielzeugstadt. Dort gehörten sie hin. Sein Vater hatte sie angefertigt und dort angebracht, also musste es in Ordnung sein, dort mit ihnen zu spielen.
Zurück in seinem Zimmer versteckte Tobin das unerwünschte Säckchen mit Murmeln im hintersten Winkel seines Schrankes. Dann kroch er unter die kalten Laken und bat Sakor in einem weiteren Gebet, dass er einen besseren Jungen aus ihm und seinen Vater stolz auf ihn machen möge.
Selbst, nachdem er neuerlich geweint hatte, fiel es ihm schwer, einzuschlafen. Das Bett fühlte sich entsetzlich leer an. Schließlich holte er das Holzschwert, das Tharin ihm geschenkt hatte, und kuschelte sich damit unter die Decke.
K APITEL 7
Tobin vergaß die schlimmen Erinnerungen jenes Namenstags nicht, sondern beschloss, sie wie den ungewünschten Sack mit Murmeln, der in seinem Schrank Staub ansetzte, einfach nicht anzufassen. Die übrigen Geschenke, die er erhalten hatte, sorgten über das nächste Jahr dafür, dass er vergnüglich abgelenkt wurde.
Auf dem Kasernenhof erlernte er mit Tharin die Schwert- und Bogenkunst, und er ritt jeden Tag auf Gosi. Auf die Straße nach Alestun warf er keine sehnsüchtigen Blicke mehr. Die wenigen Händler, denen er auf dem Gebirgspfad begegnete, verneigten sich respektvoll; hier deutete niemand mit dem Finger auf ihn oder tuschelte hinter vorgehaltenen Händen.
Eingedenk des Vergnügens, das es ihm bereitet hatte, jenes Wachspferd in dem Schrein zu formen, erbettelte er sich Kerzenreste aus Köchins Schmelzkessel, und bald bevölkerten winzige gelbe Tiere und Vögel den Fenstersims in seinem Schlafzimmer. Nari und Tobins Vater lobten ihn dafür, aber es war Tharin, der ihm Klumpen sauberen, frischen Wachses besorgte, damit er größere Tiere anfertigen konnte. Verzückt verwendete Tobin das erste Stück dafür, um dem Hauptmann ein Pferd zu machen.
An seinem achten Namenstag besuchten sie abermals die Stadt. Diesmal achtete er sorgsam darauf, sich so zu verhalten, wie man es von einem jungen Krieger erwartete. Im Schrein formte er wunderbare Wachspferde, und als er sich später als Geschenk ein feines Jagdmesser aussuchte, kicherte niemand.
Bald danach beschloss sein Vater, dass es an der Zeit für Tobin war, schreiben und lesen zu lernen.
Anfangs genoss Tobin diesen Unterricht sehr, wenngleich vorwiegend, weil er es liebte, in der Kammer seines Vaters zu sitzen. Dort roch es nach Leder, und an den Wänden hingen Landkarten und ansprechende Dolche.
»Kein skalanischer Adeliger sollte der Gnade von Schreibern ausgeliefert sein«, erklärte sein Vater, während er Pergament und ein Tintenfässchen auf einem kleinen Tisch am Fenster vorbereitete. Dann spitzte er eine Gänsefeder an und hielt sie hoch, um sie Tobin zu zeigen. »Das ist eine Waffe, mein Sohn, und manche Menschen verstehen sie, so geschickt wie ein Schwert oder einen Dolch zu führen.«
Tobin konnte sich zwar nicht vorstellen, was
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