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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Tobins Haar ab, rieb den Strang wie eine Bogensehne mit Wachs ein und verdrillte ihn zu einer neuen Halskordel für die Puppe. Tobin beobachtete ihre Finger, als sie die Kordel mit einem eigenartigen Knoten sicherte, der die Enden des Stranges zusammenzufügen schien. »Bist du eine Zauberin?«
    Lhel schnaubte und reichte ihm die fertige Puppe. »Was du glauben das ist?«
    »Bloß – bloß eine Puppe?«, gab Tobin zurück, der bereits vermutete, dass dem nicht so war. »Ist sie jetzt magisch?«
    »Immer magisch sein«, klärte Lhel ihn auf. »Mein Volk das nennen Bekkamari . Hat Geist drin. Du kennen.«
    »Der Dämon?« Tobin starrte auf die Puppe hinab.
    Lhel bedachte ihn mit einem traurigen Lächeln. »Dämon, Keesa ? Nein. Geist. Gespenst. Das dein Bruder.«
    »Ich habe keinen Bruder.«
    »Du haben, Keesa . Mit dir geboren, aber sterben. Ich deiner Mama zeigen, wie das machen für sein arme Mari. Er auch warten. Lange. Du sagen …« Sie setzte ab und presste die Handflächen unter dem Kinn aneinander, während sie nachdachte. »Du sagen: ›Blut, mein Blut. Fleisch, mein Fleisch. Knochen, mein Knochen.‹«
    »Was bewirkt das?«
    »Ihn zu dich binden. Du dann sehen. Er dich braucht. Du ihn brauchst.«
    »Ich will ihn nicht sehen!«, rief Tobin aus und dachte an all die Ungeheuer, die er im Geiste stets heraufbeschwor, wenn er versuchte, der Gegenwart, die sein Leben überschattete, eine Gestalt beizufügen.
    Lhel streckte den Arm aus und legte die raue Handfläche auf seine Wange. »Du lange genug Angst. Sein tapfer jetzt wie Krieger. Dir Dinge bevorstehen, du nicht wissen. Du immer sein tapfer, ganze Zeit.«
    Immer tapfer, wie ein Krieger , dachte Tobin. Wenngleich er sich alles andere als tapfer fühlte, schloss er die Augen und sprach mit zaghafter Stimme: »Blut, mein Blut. Fleisch, mein Fleisch …«
    »Knochen, mein Knochen«, half Lhel ihm leise.
    »Knochen, mein Knochen.«
    Er spürte, wie der Dämon die Eiche betrat und ihm so nahe kam, dass er die Hand auszustrecken und ihn zu berühren vermocht hätte, wenn er es gewagt hätte. Lhels kühle Hand legte sich auf die seine.
    » Keesa , schau.«
    Tobin öffnete die Augen und schnappte nach Luft. Ein Junge, der genau wie er aussah, kauerte wenige Schritte entfernt. Aber dieser Junge war schmutzig und nackt, und das stumpfe, schwarze Haar hing ihm verfilzt, in dreckigen Strähnen um das Gesicht.
    Ich habe ihn an dem Tag gesehen, als Mama … Tobin verdrängte den Gedanken. An jenen Tag dachte er nicht. Niemals.
    Der andere Junge funkelte Tobin mit so dunklen Augen an, dass die Pupillen darin nicht erkennbar waren.
    »Er sieht aus wie ich«, flüsterte Tobin.
    »Er du. Du er. Gleichkinder.«
    »Zwillinge, meinst du?« Tobin hatte in Alestun Zwillinge gesehen.
    »Zwillinge, ja.«
    Der Dämon bleckte Lhel mit einem lautlosen Zischen die Zähne entgegen, huschte zur gegenüberliegenden Seite des Feuers und kauerte sich dort nieder. Das Kaninchen hüpfte zurück auf Tobins Schoß neben die Puppe und putzte sich weiter.
    »Er mag dich nicht«, sagte Tobin zu Lhel.
    »Hasst«, pflichtete Lhel ihm bei. »Deine Mama ihn haben. Jetzt du ihn haben. Du Hekkamari sicher halten, sonst er verloren. Er dich brauchen, dir helfen.«
    Beunruhigt vom starrenden, finsteren Blick des Dämons, schmiegte sich Tobin an Lhel. »Warum ist er gestorben?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Manchmal, Keesa , sterben.«
    Der Geist duckte sich tiefer, schien bereit, sie anzuspringen. Sie schenkte ihm keine Beachtung.
    »Aber – aber warum ist er nicht zu Bilairy gelangt?«, verlangte Tobin zu erfahren. »Nari sagt, wenn wir sterben, gelangen wir zu Bilairy an die Tore, und er bringt uns zu Astellus, der uns in die Lande der Toten geleitet.«
    Abermals zuckte Lhel mit den Schultern.
    Tobin wand sich vor Enttäuschung. »Na ja, wie heißt er?«
    »Tote keine Namen.«
    »Ich muss ihn doch irgendwie nennen!«
    »Nennen ihn Bruder. Das er sein.«
    »Bruder?« Der Geist starrte ihn nur weiter an, und Tobin schauderte. Dies war schlimmer als etwas, das er überhaupt nicht sehen konnte. »Ich will nicht, dass er mich die ganze Zeit ansieht. Und außerdem tut er mir weh! Er hat meine Stadt zerbrochen!«
    »Er das nicht mehr tun, jetzt du haben Hekkamari . Du ihm sagen: ›Geh weg!‹, er gehen weg. Du ihn auch rufen zurück, mit Worten ich dir gezeigt. Du sagen, so ich weiß, du sie kennst.«
    »Blut, mein Blut. Fleisch, mein Fleisch. Knochen, mein Knochen.«
    Der Geistjunge zuckte zusammen, dann

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