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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Kind?
    Plötzlich erfasste ihn die Kälte des zornigen Geistes des ermordeten Kindes, ließ seine Hände steif werden und seine Knochen schmerzen. Einen Lidschlag lang schien es, als stünde er wieder unter jenem Kastanienbaum und beobachtete, wie der winzige Körper in die Erde hinabsank.
    Die Magie der Hexe hatte nicht gereicht, um den wütenden Geist zu bannen.
    Die Vision wurde vor seinem geistigen Auge heller, nahm neue Gestalt und Form an. Ein Kind erhob sich aus dem Boden zu seinen Füßen, kämpfte gegen die Umklammerung der Wurzeln und der harten Erde. Arkoniel ergriff die Hände des kleinen Geschöpfs und zog, blickte hinab in dunkelblaue, nicht schwarze Augen. Aber die Wurzeln hielten das Kind fest, zerrten an dessen Armen und Beinen. Eine Wurzel hatte den Rücken durchdrungen und ragte durch die Wunde in der Brust heraus, wo Lhel einen Hautstreifen mit Stichen feiner als Wimpern eingenäht hatte. Der Baum trank das Blut des Kindes. Arkoniel sah mit an, wie der Knabe vor seinen Augen verschrumpelte …
    Immer noch umfing Arkoniel jene übernatürliche Kälte, ließ ihn zittern und taumeln wie einen Greis, als er sich langsam den Weg zurück zur Tanne bahnte.
     
    Zauberer vermochten durchaus, in der Dunkelheit zu sehen, doch was Iya spürte, als Arkoniel zu ihr zurückgewankt kam, ließ sie dennoch ein Licht entfachen.
    Sein Gesicht schimmerte aschfahl unter dem lichten Bart, seine rot geränderten Augen starrten sie geweitet an. »In Afra!«, stieß er japsend hervor und sank neben ihr auf die Knie. »Meine Vision. Diejenige, die ich nicht – Tobin ist mein Pfad. Deshalb – o Iya, ich muss gehen! Wir müssen gehen!«
    »Arkoniel, du redest wirres Zeug! Was ist denn?« Iya umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und drückte die Stirn gegen die seine. Er zitterte wie ein von der Frühlingspest Befallener, doch sie spürte keine Anzeichen von Fieber. Vielmehr fühlte sich seine Haut eisig an. Behutsam sandte sie ihren Geist aus und empfing sofort eine Vision: Arkoniel stand auf einer hohen Klippe und blickte nach Westen über ein dunkelblaues Meer. Unmittelbar vor ihm, viel zu nah am Rand des Abgrunds, standen Arianis Zwillinge, mittlerweile groß und schlank. Strahlen goldenen Lichts verbanden den jungen Zauberer mit den Kindern.
    »Siehst du?« Arkoniel zog sich zurück, ergriff ihre Hände und berichtete ihr von der dunkleren Vision, die am Ufer über ihn hereingebrochen war. »Ich muss zu dem Kind reisen. Ich muss Tobin sehen.«
    »Na schön. Verzeih mir, dass ich es dir nicht gesagt habe. Meine Vision …« Sie streckte die leeren Hände mit den Handflächen nach oben aus. »Sie breitet sich so klar und doch so dunkel vor mir aus. Solange das Kind lebt, habe ich andere Dinge zu erledigen. Ich denke, ich habe vergessen, wie viel Zeit verstrichen ist, seit Ariani starb, und wie viel schneller sie für dich vergeht als für mich. Aber du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich das Kind nicht vergessen habe. Wir haben uns um Tobins willen all die Jahre von der Feste ferngehalten, und nun scheint es mir noch entscheidender, Erius’ Aufmerksamkeit nicht auf jenes Haus zu lenken, zumal er mittlerweile allen Zauberern außer seinen eigenen misstraut.«
    Sie setzte ab, als sie ein neuer Gedanke beschlich. Bereits zwei Mal hatte sie einen Blick darauf erhascht, wie Arkoniel vom Lichtträger berührt wurde, und während er in ihren Visionen vorkam, tauchte sie in den seinen nicht auf. Die Erkenntnis brachte Traurigkeit und einen Anflug von Furcht mit sich.
    »Tja, anscheinend musst du tatsächlich gehen«, räumte sie ein.
    Er küsste ihre beiden Hände. »Danke, Iya. Ich werde nicht lange fort sein, das verspreche ich. Ich will mich nur vergewissern, dass das Kind in Sicherheit ist und versuche herauszufinden, was Illior mir zu sagen versucht. Wenn es mir morgen gelingt, ein Schiff zu finden, bin ich in einer Woche zurück. Wo soll ich dich treffen?«
    »Es besteht keine Notwendigkeit für solche Hast. Ich reise nach Ylani weiter, wie wir es geplant hatten. Schick mir dorthin eine Nachricht, wenn du das Kind gesehen hast …« Da war sie wieder, jene Traurigkeit. »Dann sehen wir weiter.«

K APITEL 16
     
    Arkoniel schaute über die Schulter zurück, als er am nächsten Tag aufbrach. Iya stand neben der Tanne und wirkte überaus klein und gewöhnlich. Sie winkte, und er winkte zurück, dann wandte er sich dem Dorf zu und versuchte, dem plötzlichen Kloß in seinem Hals keine Beachtung zu schenken. Es

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