Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
fühlte sich seltsam an, nach all den Jahren alleine zu reisen.
Seine Zaubereranhängsel trug er, sicher vor neugierigen Blicken geschützt, im über seine Schulter geschlungenen Schlafsack verstaut. Hoffentlich würde jeder, der ihn betrachtete, lediglich einen Reisenden in schlammigen Stiefeln und mit einem staubigen Hut mit ausgefranster Krempe sehen. Dennoch beabsichtigte er, Iyas Warnung zu beherzigen, Priester sowie andere Zauberer zu meiden und wie üblich wachsam nach Männern Ausschau zu halten, die das Falkenabzeichen der Spürhunde trugen.
Er fand einen Fischer, der sich als bereit erwies, ihn bis nach Ylani mitzunehmen, wo er auf ein größeres Schiff auf dem Weg nach Volchi umstieg. Als er zwei Tage später von Bord ging, erstand er einen kräftigen, rotbraunen Wallach und brach nach Alestun zu den Aufgaben auf, die der Lichtträger dort für ihn vorgesehen hatte, wie immer sie aussehen mochten.
Aus Rhius’ und Naris Briefen wusste er, dass der Herzog mit seiner Familie im Frühling nach Tobins Geburt von Ero in die Feste übersiedelt war; zu jenem Zeitpunkt hatten sich bereits Gerüchte über den › Dämon ‹ in der Stadt verbreitet. Der Geist, so hieß es, schleuderte Dinge auf Besucher, schlug sie, ließ Juwelen und Hüte verschwinden. Und die wunderschöne Ariani, die mit ihrem fleckigen Kleid und der seltsamen Puppe auf der Suche nach ihrem Kind durch die Flure streifte – auch daran erinnerte man sich immer noch.
Anscheinend hatte sich der König damit zufriedengegeben, Rhius ziehen zu lassen. Für den › Dämon ‹ galt dies nicht – er war dem Haushalt irgendwie in die Feste gefolgt.
Ein Schauder lief Arkoniel über den Rücken, als er sich ihn vorzustellen versuchte. Unruhige Geister waren etwas Furcht einflößendes, schändliches, und jeglichen Umgang mit ihnen überließ man in der Regel den Priestern und Drysiern. Iya und er hatten von ihresgleichen in Erfahrung gebracht, so viel sie konnten, und wussten, dass sie sich früher oder später dem Geist stellen mussten, den zu erschaffen sie geholfen hatten. Allerdings hatte Arkoniel nie damit gerechnet, es alleine tun zu müssen.
Arkoniel erreichte Alestun am dritten Tag des Shemin. Der Ort erwies sich als nette, blühende Marktgemeinde in den Ausläufern des Skala-Gebirges. Ein paar Meilen weiter westlich prangte eine Linie scharfkantiger Gipfel vor dem wolkenlosen, nachmittäglichen Himmel. In diesen Gefilden war es kühler als an der Küste, und die Felder zeigten keine Anzeichen von Dürre.
Er blieb auf dem Marktplatz stehen, um eine Frau nach dem Weg zu fragen, die frischen Käse von einem Karren aus verkaufte.
»Herzog Rhius? Den findet Ihr oben in der alten Feste am Pass«, erklärte sie ihm. »Er ist seit gut einem Monat zurück, obwohl ich gehört habe, dass er angeblich nicht lange bleibt. Er wird morgen beim Schrein weilen, um sich Gesuche anzuhören, falls es das ist, was Ihr braucht.«
»Nein, ich suche nach seinem Heim.«
»Folgt einfach der Hauptstraße durch den Wald. Falls Ihr allerdings hausieren wollt, könnt Ihr Euch den Weg sparen. Wenn man Euch dort nicht kennt, hetzt man Euch die Wachen auf den Hals. Dort oben machen sie keine Geschäfte mit Fremden.«
»Ich bin kein Fremder«, verriet ihr Arkoniel. Er kaufte etwas Käse und zog lächelnd von dannen, erfreut darüber, für einen Landstreicher gehalten worden zu sein.
Als er weiterritt, gelangte er an goldenen Gerstenfeldern und Weiden voller geschorener Schafe und fetter Schweine vorbei, ehe er in den dunklen Wald geriet. Die Straße, auf die ihn die Frau geschickte hatte, wirkte weniger bereist als jene, die in die Ortschaft führte. Welkes Gras wucherte dicht zwischen den Radfurchen, und er erspähte mehr Spuren von Wild und Schweinen im Schlamm als Hufabdrücke. Mittlerweile wurden die Schatten rasch länger; er trieb sein schwitzendes Ross in einen Galopp und wünschte, er hätte sich erkundigt, wie weit es bis zur Feste war.
Schließlich gelangte er neben einem Fluss am Fuß einer steilen Weide wieder in offenes Gelände. An der Kuppe des Hanges ragte eine hohe, graue Festung auf, dahinter ein einzelner, eckiger Wachturm.
Sie hat sich aus einem Turmfenster gestürzt …
Arkoniel schauderte. Als er das Pferd weiter die Straße hinauftreiben wollte, erblickte er einen kleinen Bauernjungen, der keine zwanzig Schritte von ihm entfernt im Unkraut neben dem Pfad kauerte.
Unter dem zerschlissenen Kittel des Jungen ragten dürre, nackte Arme und
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