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Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling

Titel: Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Beine hervor. Schlamm verschmierte seine Haut, Kletten und Laub staken in seinem dunklen, verfilzten Haar.
    Arkoniel wollte ihm gerade etwas zurufen, als ihm einfiel, dass es in diesem Haushalt nur ein einziges Kind gab – ein Kind mit schwarzem Haar. Entsetzt über den Zustand des Prinzen drängte er das Pferd vorwärts, um den Jungen zu begrüßen.
    Tobin kauerte mit dem Rücken zur Straße und starrte eindringlich auf etwas im langen Gras oberhalb des Flussufers. Er schaute nicht auf, als sich Arkoniel näherte. Der Zauberer setzte dazu an, abzusteigen, dann verharrte er doch im Sattel. Etwas an Tobins Reglosigkeit warnte ihn, Abstand zu wahren.
    »Weißt du, wer ich bin?«, fragte er schließlich.
    »Du bist Arkoniel«, antwortete der Junge, der immer noch auf das hinabblickte, was seine Aufmerksamkeit gefangen hielt.
    »Dein Vater wäre nicht damit einverstanden, dass du dich allein so weit vom Haus entfernt herumtreibst. Wo ist deine Amme?«
    Das Kind überging die Frage. »Was denkst du, wird sie beißen?«
    »Was wird beißen?«
    Tobin ließ eine Hand ins Gras schnellen und holte eine Spitzmaus daraus hervor, die er an einem Hinterbein hochhielt. Kurz beobachtete er, wie sie sich zur Wehr setzte, dann brach er ihr geübt wie ein Wilderer das Genick. Ein Blutstropfen quoll an der Spitze der winzigen Schnauze der Kreatur hervor.
    »Meine Mama ist tot.« Endlich drehte er sich zu Arkoniel um, und der Zauberer starrte in zwei Augen, so schwarz und tief wie die Nacht.
    Arkoniel erstarb die Stimme in der Kehle, als er begriff, womit er sich unterhalten hatte.
    »Ich kenne den Geschmack deiner Tränen«, sagte der Dämon.
    Bevor der Zauberer ein Schutzzeichen vollführen konnte, sprang das Geschöpf auf und schleuderte dem Pferd die tote Spitzmaus ins Gesicht. Der Wallach bäumte sich auf und warf Arkoniel ins hohe Gras ab. Er landete ungeschickt auf der linken Hand und spürte ein grässliches Brechen unmittelbar über dem Gelenk. Schmerzen und der Sturz raubten ihm den Atem; er krümmte sich eng zusammen, kämpfte gegen finstere Übelkeit und nackte Angst an.
    Der Dämon. Er hatte noch nie von einem Geist gehört, der sich so deutlich zeigte oder sprach. Arkoniel gelang es, den Kopf anzuheben, und erwartete, das Geschöpf würde neben ihm hocken und ihn mit diesen toten, schwarzen Augen beobachten. Stattdessen sah er, wie sein Wallach auf der Weide jenseits des Flusses den Kopf hin und her warf und austrat.
    Langsam setzte er sich auf und hielt sich behutsam den verletzten Arm. Seine linke Hand hing in einem üblen Winkel herab und fühlte sich kalt an. Ein weitere Woge von Übelkeit brannte ihm in der Kehle, und er legte sich vorsichtig zurück ins Gras. Die Sonne erhitzte seine nach oben gewandte Wange, Insekten erkundeten seine Ohren. Er beobachtete, wie der grüne Roggen und das Wiesenlieschgras vor dem Himmel tanzten, und versuchte, sich vorzustellen, wie er den Rest des Weges die steile Straße zur Feste hinauf zu Fuß zurücklegte.
    Als es ihm misslang, wandte er die Gedanken stattdessen wieder dem Dämon zu. Nun erst sickerten ihm dessen Worte vollständig ins Bewusstsein.
    Meine Mama ist tot.
    Ich kenne den Geschmack deiner Tränen.
    Dies war nicht der tobende Poltergeist, den Arkoniel erwartet hatte. Er schien gereift wie ein lebendiges Kind und hatte offenbar eine Art Bewusstsein entwickelt. Von etwas Derartigem hatte Arkoniel noch nie gehört.
    »Lhel, du verfluchte Totenbeschwörerin, was hast du getan?«, stöhnte er.
    Was haben wir getan?
    Er musste eine Weile eingedöst sein, denn als er die Augen wieder aufschlug, stellte er fest, dass der Kopf und die Schultern eines Mannes die Sonne verdeckten.
    »Ich bin kein Hausierer«, murmelte er.
    »Arkoniel?« Starke Arme griffen unter seine Schultern und halfen ihm auf die Beine. »Was tust du hier ganz allein?«
    Er kannte diese Stimme und das verwitterte, bärtige Gesicht, das dazu gehörte, wenngleich es über ein Jahrzehnt zurücklag, dass er den Mann zuletzt zu Gesicht bekommen hatte. »Tharin? Bei den Vieren, was bin ich froh, dich zu sehen.«
    Arkoniel wankte, und der Hauptmann schlang einen Arm um seine Hüfte, um ihn zu stützen.
    Blinzelnd versuchte er, den Blick auf das zu nah vor ihm schwebende Gesicht zu schärfen. Tharins helles Haar und der Bart waren mit dem Alter ausgebleicht, und die Furchen rings um die Augen und den Mund wirkten tiefer, aber das ruhige, ungezwungene Gebaren des Mannes schien unverändert, wofür Arkoniel dankbar war.

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