Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
kundzutun. Es hat uns beiden so leid getan, vom Tod Eurer Gemahlin zu erfahren.«
»So leid, dass du ein Jahr gebraucht hast, um dich aufzuraffen?« Rhius nahm ihm gegenüber Platz und betrachtete das verbundene Handgelenk des Zauberers. »Aber wie ich sehe, wirst du uns so bald nicht verlassen. Ich breche morgen nach Ero auf, aber du kannst bleiben, bis du in der Lage bist zu reiten.«
Das klang weit weniger herzlich als die Gastfreundschaft, die sie früher stets unter Rhius’ Dach genossen hatten, aber Arkoniel vermutete, dass er sich glücklich wähnen konnte, vom Herzog nicht in den Fluss geworfen zu werden.
»Wie geht es dem König?«, erkundigte sich der junge Zauberer.
Aufgestauter Zorn ließ Rhius die Lippen schürzen. »Hervorragend, danke. Die plenimarischen Überfälle haben für die Erntezeit geendet. Das Getreide reift. Die Sonne scheint. Es hat den Anschein, dass die Vier auf seine Herrschaft herablächeln.« Rhius sprach leise und mit tonloser Stimme, doch Arkoniel vermochte, in jenen harten, müden Augen zu lesen. Iya hätte von Geduld und Visionen gesprochen, aber Arkoniel wusste nicht, wo er anfangen sollte.
In jenem Augenblick lugte ein auf schauerliche Weise vertrautes Antlitz um die Ecke zum Flur. »Wer ist das, Vater?«
Alle Verbitterung fiel von Rhius’ Gesicht ab, als er die Hand dem Jungen entgegenstreckte, der herbeikam, sich an die Seite seines Vaters schmiegte und Arkoniel mit scheuen, blauen Augen musterte.
Tobin.
Nichts an dem schlichten, dürren Burschen erinnerte an das in ihm verborgene Mädchen. Lhel hatte ihre Aufgabe zu gut erfüllt. Aber Tobins Augen besaßen dasselbe strahlende Blau wie jene seiner Mutter, und im Gegensatz zu seinem dämonischen Zwilling wirkte Tobin gut versorgt, abgesehen von einer verblassten, leicht rosigen Narbe, die sein spitzes Kinn verunstaltete. Arkoniel warf einen verstohlenen Blick auf das Dreieck glatter, blasser Haut, das unter dem unverschnürten Kragen des Kittels des Kindes hervorlugte, und fragte sich, wie Lhels Nähte nach all den Jahren aussehen mochten.
Das lange, schwarze Haar des Jungen glänzte, und wenngleich ihn in einer solchen Aufmachung niemand für den Sohn einer Prinzessin gehalten hätte, war sein schlichter Kittel sauber und fein gearbeitet. Als Arkoniel den Blick über die anderen Anwesenden wandern ließ, erkannte er eine Liebe für dieses ernste Kind, die sein Herz schmerzlich mit einem sonderbaren Anflug von Mitgefühl für den Dämon erfüllte, der als verstoßenes Kind von der Wärme des Ofens und der Familie ausgeschlossen war, während sein Ebenbild in Behagen und Herzlichkeit aufwuchs. Der Dämon besaß ein Bewusstsein. Er musste es wissen.
Tobin lächelte nicht und kam nicht herbei, um ihn zu begrüßen; er starrte Arkoniel nur an. Etwas an seiner Stille ließ ihn ebenso merkwürdig erscheinen wie seinen gespenstischen Zwilling.
»Das ist Arkoniel«, erklärte Rhius. »Er ist ein – Freund, den ich sehr lange nicht gesehen habe. Komm jetzt, stell dich ihm ordentlich vor.«
Der Junge vollführte mit der linken Hand am Gürtel, wo eines Tages ein Schwert hängen würde, eine steife, förmliche Verneigung. An der Außenseite seines Unterarms prangte das weinfarbene Gunstmal gleich dem Abdruck einer entzweigeschnittenen Rosenknospe. Arkoniel hatte es vergessen gehabt, das einzige äußerliche Anzeichen auf die wahre Gestalt des Mädchens.
»Ich bin Prinz Tobin Erius Akandor, Sohn von Ariani und Rhius.« Die Art, wie er sich bewegte, bestärkte Arkoniels ursprünglichen Eindruck. Nichts an seinem Gebaren wies auf ein gewöhnliches Kind hin. Er besaß die Würde seines Vaters, nicht jedoch den Körperbau und das Alter, um sie überzeugend zu vermitteln.
Arkoniel erwiderte die Verneigung, so gut er es im Sitzen konnte. Der Trank der Köchin schien umso stärker zu wirken, je länger er ihn in sich hatte; Benommenheit stellte sich bei Arkoniel ein. »Ich fühle mich zutiefst geehrt, deine Bekanntschaft zu machen, mein Prinz. Ich bin Arkoniel, Sohn von Fürst Coran und Fürstin Meika von Rhemair, Mündel der Zauberin Iya. Ich biete dir und deinem Haus meine bescheidenen Dienste an.«
Tobins Augen weiteten sich. »Ihr seid ein Zauberer?«
»Ja, mein Prinz.« Arkoniel hob das verbundene Handgelenk an. »Wenn sich das hier etwas besser anfühlt, kann ich dir vielleicht einige der Kunststücke zeigen, die ich gelernt habe.«
Die meisten Kinder begrüßten solcherlei Angebote mit Ausrufen der Verzückung oder
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