Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
da sie sich erinnerte, dass dort einige Kinder geboren worden waren. Die Witwe hatte einen Sohn, der recht lebendig wirkte, doch als Iya seinen Geist mit dem ihren berührte, stellte sei fest, dass er bereits von Gier und Neid bemäkelt war. Man konnte einem Prinzen oder einer Königin schlecht dienen, wenn man deren Rang begehrte.
So reiste sie weiter, arbeitete sich langsam das Rückgrat Skalas entlang vor und begegnete weiteren Steckrüben, Maulwürfen und Neidhammeln. Als die ersten Regenfälle des Rhythin einsetzten, befand sie sich einen Wochenritt von Ero entfernt. Auf der Suche nach dem Anwesen von Fürst Jorvai von Colath, den sie als junges Mädchen gekannt hatte, wanderte sie weiter durch den kalten, nebligen Nieselregen.
Zwei Tage später, als der Nachmittag bereits schwand und weder das Anwesen noch ein sonstiger Unterstand in Sicht waren, endete die schlammige Straße, der sie gefolgt war, jäh am Ufer eines angeschwollenen Stroms. Sie versuchte, die Stute weiterzutreiben, aber das Tier scheute und wich dem Hindernis aus.
»Verflucht!«, brüllte Iya und ließ den Blick über das Ödland wandern, das sie zu allen Seiten umgab. Sie konnte nicht zu Fuß durch die Fluten waten, und in der Nähe gab es keine Herberge, zu der sie umkehren konnte. Als sie ihren Mantel enger um sich zog, fiel ihr ein, dass sie vor etwa einer Stunde eine Nebenstraße passiert hatte, die irgendwohin führen musste.
Sie war noch keine halbe Meile zurückgeritten, als eine Gruppe Reiter aus dem Nebel auftauchte, die einen Trupp prächtiger Pferde mitführte. Sie schienen ein hartgesottener Menschenschlag, der Ausrüstung nach zu urteilen entweder Soldaten oder Banditen. Iya setzte eine wackere Miene auf, um ihnen zu begegnen. Als sich die Gruppe ihr näherte, stellte sie fest, dass sich darunter eine Frau befand, wenngleich diese genauso raubeinig und grimmig wie die anderen Reiter wirkte.
Der Anführer war ein großer, hagerer alter Mann, dessen langer, grauer Schnurrbart einen Mund voll schlechter Zähne umrahmte. »Was habt Ihr auf dieser Straße zu suchen, Frau?«, verlangte er herausfordernd zu erfahren.
»Und wer mögt Ihr sein, danach zu fragen?«, gab Iya zurück, die dabei im Hinterkopf bereits einen Bindungsbann wob. Sie waren nur zu siebent. Nach den finsteren Blicken zu schließen, mit denen Iya bedacht wurde, waren die Pferde, die sie führten, wahrscheinlich gestohlen.
»Ich bin Sir Larenth von Eichberggut, ein Pächter von Fürst Jorvai, auf dessen Land du dich befindest.« Er deutete mit dem Daumen auf die Frau und zwei der anderen. »Das sind meine Söhne Alon und Khemeus und meine Tochter Ahra. Wir bewachen Jorvais Straßen.«
»Dann bitte ich um Verzeihung. Ich bin Iya von Schöpfersfurt, eine freie Zauberin Skalas. Und zufällig suche ich nach Eurem Herrn, aber ich glaube, ich habe mich verirrt.«
»Und das recht deutlich. Sein Gut befindet sich einen halben Tagesritt in der Richtung, aus der Ihr kommt«, gab Larenth in nach wie vor schroffem Tonfall zurück. »Falls Ihr sonst nirgendwohin könnt, dürft Ihr heute Abend Gastlichkeit an meinem Herd in Anspruch nehmen.«
Iya hatte kaum eine andere Wahl. »Vielen Dank, Sir Larenth. Ich nehme sie in Anspruch und bin Euch sehr verbunden dafür.«
»Was wollt Ihr von meinem Herrn?«, erkundigte sich Larenth, als sich Iya bei seiner Gruppe einreihte.
»Ich bin damit beauftragt, einen Gefährten für den Sohn eines Adeligen zu finden.«
Der alte Ritter schnaubte. »Ich habe einen ganzen Stall voll Bälger – von vier Frauen – und dazu noch eine Menge unehelicher Kinder. Die sind so gut wie alle, die Ihr in der Hauptstadt findet. Wäre mir nur recht, ein paar Mäuler weniger zu stopfen zu haben. Ich nehme an, für den Verlust an Arbeitskraft würde ich entschädigt?«
»Selbstverständlich würde die übliche Gunstgebühr bezahlt.« Iya musterte die anwesenden Sprösslinge und bezweifelte, dass sich unter seinem Dach die Gelegenheit ergeben würde, ihre Geldbörse zu öffnen. Aber immerhin hatte er ein Mädchen als Soldatin ausgebildet, ein seltener und willkommener Anblick in diesen Tagen. »Eure Tochter dient mit Euch. Wie ich höre, ist das in diesen Zeiten eher aus der Mode geraten.«
Die junge Frau richtete sich im Sattel auf und wirkte regelrecht beleidigt.
»Verflucht sei die Mode, und der König mit seinen Launen und Gesetzen gleich dazu«, schimpfte Larenth. »Meine Mutter hat sich den Lebensunterhalt mit dem Schwert verdient, und ihre Mutter
Weitere Kostenlose Bücher