Tamir Triad 01 - Der verwunschene Zwilling
es dir gut?«, erkundigte sie sich, während sie beobachtete, wie er beständig neben ihr einhertrottete.
»Ja, Herrin.«
»Du brauchst mich nicht ›Herrin‹ zu nennen. Du bist von edlerer Geburt als ich. Sag einfach Frau Iya zu mir, und ich rufe dich Ki, wie du es magst. Also, möchtest du heraufkommen und hinter mir reiten?«
»Nein, Frau Iya.«
»Hat dein Vater dir gesagt, wohin wir reisen?«
»Nein, Frau Iya.«
»Freust du dich darüber, der Gefährte des Neffen des Königs zu werden?«
Er erwiderte nichts, und Iya fiel auf, wie verkniffen seine Kiefer wirkten. »Missfällt dir die Aussicht darauf?«
Ki ruckte sich sein kleines Bündel höher auf die Schultern. »Ich werde meine Pflicht erfüllen, Frau Iya.«
»Na ja, du könntest ruhig ein wenig glücklicher darüber sein. Ich hätte gedacht, du freust dich darüber, diesen elenden Ort zu verlassen. In Herzog Rhius’ Haus wird niemand von dir erwarten, dass du Schweine hütest oder unter einem Tisch schläfst.«
Kis Rückgrat versteifte sich sichtlich, genau wie bei seiner Halbschwester am Tag zuvor. »Ja, Frau Iya.«
Iya wurde der einseitigen Unterhaltung überdrüssig und ließ Ki zufrieden, der schweigend hinter ihr einherstapfte.
Beim Licht, vielleicht habe ich doch einen Fehler begangen, dachte sie.
Als sie zu ihm zurückschaute, bemerkte sie, dass er plötzlich humpelte.
»Hast du eine Blase?«
»Nein, Frau Iya.«
»Warum humpelst du dann?«
»Ich habe einen Stein im Schuh.«
Verärgert zügelte sie das Pferd. »Wieso um alles in der Welt sagst du mir das nicht? Beim Licht, Kind, du besitzt schließlich eine Stimme!«
Er begegnete ihrem Blick standhaft, doch sein Kinn zitterte. »Vater hat gesagt, ich soll nur reden, wenn ich angesprochen werde«, erklärte er und versuchte krampfhaft, eine tapfere Miene beizubehalten, als die Worte aus ihm hervorsprudelten. »Er sagte, wenn ich Euch widerspreche oder widerspenstig bin, würdet Ihr mich zurückbringen und ihn zwingen, das Gold zurückzugeben, und dann würde er mir die Haut abziehen und mich auf die Straße jagen. Er sagte, ich muss meine Pflicht Prinz Tobin gegenüber erfüllen und darf nie nach Hause zurückkehren.«
Es war eine ziemlich lange und wacker vorgetragene Ansprache, nur rannen ihm Tränen über die Wangen. Er wischte sie mit dem Ärmel ab, behielt jedoch stolz den Kopf erhoben, während er darauf wartete, in Schimpf und Schande zurückgeschickt zu werden.
Iya seufzte. »Putz dir die Nase, Junge. Niemand wird dich dafür nach Hause zurückschicken, dass du einen Stein im Schuh hast. Ich habe nicht viel Erfahrung mit gewöhnlichen Kindern, Ki, aber du erscheinst mir insgesamt den noch ein anständiger Junge zu sein. Du wirst Prinz Tobin doch nicht verletzen oder Reißaus nehmen, oder?«
»Nein, He… Frau Iya!«
»Dann bezweifle ich, dass es nötig sein wird, dich nach Hause zurückzuschicken. Und jetzt leer deinen Schuh aus und komm her.«
Als er mit dem Schuh fertig war, half sie ihm aufs Pferd und tätschelte ihm linkisch das Knie. »Das hätten wir also geklärt. Von jetzt an werden wir gut miteinander auskommen.«
»Ja, Frau Iya.«
»Und vielleicht können wir eine etwas anregendere Unterhaltung führen. Von hier nach Alestun ist es ein weiter Ritt. Du darfst frei sprechen und mir Fragen stellen, wann immer du möchtest. Weißt du, anders wirst du im Leben nicht viel lernen.«
Ki bewegte sein Knie an den Lederbeutel, der neben seinem Bein hing. »Was ist da drin? Ihr tragt den Beutel ständig mit Euch herum. Letzte Nacht habe ich Euch sogar damit schlafen gesehen.«
Erschrocken fauchte sie: »Nichts, wovon du etwas wissen musst, nur, dass es äußerst gefährlich ist und ich dich tatsächlich zurück nach Hause schicke, wenn du es je anfasst.«
Sie spürte, wie der Junge zusammenzuckte, und blies langsam den Atem aus, bevor sie erneut das Wort ergriff. Schließlich war er noch ein Kind. »Das war kein besonders guter Anfang, was? Frag mich etwas anderes.«
Es folgte eine gedehnte Stille, dann: »Wie ist der Prinz?«
Iya dachte an Arkoniels Brief. »Er ist etwa ein Jahr jünger als du. Soweit ich weiß, jagt er gerne und wird zu einem Krieger ausgebildet. Wenn du ein guter Junge bist, macht er dich vielleicht zu seinem Knappen.«
»Wie viele Brüder und Schwestern tut er haben?«
» Hat er«, berichtigte ihn Iya. »Beim Licht, wir müssen an deiner Grammatik arbeiten.«
»Wie viele hat er?«
»Er hat keine Geschwister, und auch keine Mutter mehr.
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