Tamir Triad 02 - Die verborgene Kriegerin
an.
Aber irgendwie war es Ki gelungen, genau das Richtige zu sagen. Erius starrte ihn eine lange Weile an, dann wandte er sich mit dem Beginn eines Grinsens Tobin zu. »Ist das wahr, Neffe?«
Tobin ließ den Kopf hängen, damit er die Gesichter der Mädchen nicht sehen musste. »Ja, Onkel. Es war bloß ein Spiel, um alleine mit ihnen zu sein.«
»Und sie zu küssen, wie?«
Tobin nickte.
»Das ist ja mal etwas Neues«, meinte Korin und lachte allzu laut.
Auch sein Vater brach in Gelächter aus. »Tja, es fällt mir schwer, dir das zum Vorwurf zu machen, Neffe. Aber ihr Mädchen solltet vernünftiger sein. Schämt euch! Geht nach Hause zu euren Müttern, wo ihr hingehört, und denkt bloß nicht, sie würden davon nicht erfahren.«
Una schaute zu Tobin zurück, als sie sich zum Gehen wandte. Die Zweifel in ihren Augen schmerzten ihn mehr als alles, was der König hätte sagen oder tun können.
»Was den Rest von euch angeht …« Erius setzte ab, und Tobins Magen verkrampfte sich wieder. »Ihr könnt die Nacht vor dem Altar Sakors verbringen und über eure Torheit nachdenken. Geht! Und bleibt dort, bis die anderen Gefährten morgen Früh hinkommen.«
In jener Nacht dachte Tobin stattdessen über den König und all das nach, was er sich erneut zu vergessen gestattet hatte. Trotz der Ausbrüche, die er bereits bezeugt hatte, hatte er sich vom väterlichen Gebaren und der Großzügigkeit Erius' vereinnahmen lassen.
Bruders Erscheinen an diesem Tag hatte den Bann endgültig gebrochen, und sein Herz gleich mit. Es war der Beweis dafür, dass der König zumindest einen Augenblick lang beabsichtigt gehabt hatte, ihn zu verletzen, genau wie Orun.
Doch es war weder dies noch die Bestrafung, was ihn in der dunkelsten Stunde der Nacht leise zum Weinen brachte. Während er dort niedergeschlagen und erschöpft auf schmerzenden Knien kauerte, drehte sich die Brise; der seltsam duftende Rauch vom Altar umfing ihn, und er erinnerte sich – er erinnerte sich daran, wie seine Mutter ihn zu jenem Fenster gezerrt und versucht hatte, ihn mit sich hinauszuziehen, als sie in den Tod stürzte. Er erinnerte sich daran, wie der Fluss ausgesehen hatte, schwarz zwischen den schneebedeckten Ufern. An den Rändern war Eis gewesen, und er hatte sich gefragt, ob es brechen würde, wenn er darauf landete. Seine Mutter würde ihn fallen lassen, und er war gefallen, aber im letzten Augenblick hatte ihn jemand gepackt und vom Fenster zurückgehievt, weg vom Klang des Todesschreis seiner Mutter.
Es war Bruder gewesen. Aber warum hatte er nicht auch ihre Mutter gerettet? Hatte er sie stattdessen hinausgestoßen?
Ein Schluchzen stieg ihm in die Kehle. Es bedurfte aller Willenskraft, die er besaß, es zu unterdrücken. Als er schon dachte, er würde verlieren und erneut Schande über sich bringen, fand Kis Hand die seine und drückte sie. Langsam zogen sich der Kummer und die Angst zurück wie die Wellen bei Ebbe. Er brachte keine Schande über sich, sondern begrüßte die Morgensonne benommen, aber von einem seltsamen Frieden erfüllt. Bruder hatte ihn an jenem Tag gerettet, und später erneut in Oruns Haus. Und vermutlich hätte er es auch auf dem Dach getan, hätte der König doch noch die Herrschaft über sich verloren.
Er dich braucht. Du ihn brauchst, hatte Lhel gesagt. Bruder musste das ebenfalls wissen.
Als er an jenem Morgen mit den anderen in den Palast zurückkehrte, erfuhr er von Baldus, dass Una in der Nacht spurlos verschwunden war.
T EIL Z WEI
Bruchstück eines Dokuments,
entdeckt im Ostturm des Orëska-Hauses
Hätten wir zu Beginn gewusst, wohin diese Vision uns führen würde, ich weiß nicht, ob wir den Mut gehabt hätten, ihr zu folgen.
Auf seine Weise war das Orakel freundlich …
K APITEL 27
Jener erste Winter mit Kaulin und Wythnir verlief ereignislos. Es traf regelmäßig Post von Tobin und Ki ein, und von Iya, die ihre Zeit zwischen ihren Reisen und häufigeren Besuchen in der Stadt aufteilte. Aus versteckten Andeutungen ging hervor, dass sie Verbündete in Ero gefunden hatte, Zauberer, die nützlicher wären, wenn sie blieben, wo sie waren, statt sich zu ihm zu gesellen.
Die Jungen berichteten vom Leben am Hof, und durch die Briefe Tobins zog sich ein dunkler Faden von Sorge und Unzufriedenheit. Korin zechte immer mehr, der König gebärdete sich launisch, und die älteren Gefährten behandelten Tobin und die jüngeren wie Kinder.
Im Gegensatz dazu erzählte Ki fröhlich von
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