Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
machte.
»Nun?«, bedrängte ihn Tamír. »Wenn ich wahrhaft eure Königin bin und nicht bloß eine Puppe, mit der ihr spielt, dann sagt mir die Wahrheit.«
Iya schwieg nach wie vor.
Arkoniel hatte das Gefühl, ein Teil von ihm müsse sterben, als er die Worte herauspresste. »Dein neugeborener Bruder wurde geopfert, um dich zu beschützen.«
»Geopfert? Du meinst, ermordet! Ist er deshalb ein Dämon geworden?«
»Ja«, antwortete Iya. »Was hat er dir erzählt?«
»Nichts, nur dass du es mir erzählen würdest, Arkoniel. Und das Orakel hat mir gezeigt …« Langsam wandte sie sich wieder Iya zu. »Du. ›Zwei Kinder, eine Königin‹, hat das Orakel zu dir gesagt, und ich sah das tote Kleinkind in deinem Arm. Du hast ihn umgebracht!«
»Ich habe ihm nicht das Leben genommen, aber ich war zweifellos das Mittel zu seinem Tod. Was du gesehen hast, wurde auch mir gezeigt. Du und dein Bruder waren damals noch wohlbehalten im Leib eurer Mutter. Allerdings warst du diejenige, der es vorherbestimmt war, Skala zu retten. Du musstest beschützt werden, insbesondere vor Niryns Magie. Mir fiel nur dieser Weg ein, das zu bewerkstelligen.«
Bruder bewegte sich auf Iya zu, und Arkoniel graute ob der schwarzen Freude, die er in jenem unnatürlichen Antlitz sah.
Tamír gebot dem Dämon mit einem Blick Einhalt. »Was hast du getan, Iya?«
Iya hielt ihren bohrenden Blicken unbeirrt Stand. »Ich habe Lhel aufgesucht. Ich wusste, welche Art von Magie ihresgleichen wirkt. Nur eine Hexe oder ein Hexer konnten vollbringen, was getan werden musste. Also brachte ich sie in der Nacht, in der du geboren wurdest, nach Ero ins Haus deiner Mutter. Du warst die Erstgeborene, Tamír, und du warst wunderschön. Makellos. Du wärst zu einem kräftigen, dunkelhaarigen Mädchen herangewachsen und hättest deiner Mutter zu ähnlich gesehen, um dich vor neugierigen Blicken zu verbergen. Während du in den Armen deiner Amme lagst, holte Lhel deinen Bruder aus dem Leib deiner Mutter. Sie wollte ihn ersticken, bevor er den ersten Atemzug tun konnte. Verstehst du, das ist das Geheimnis; sie wusste, wie es erfolgen musste. Hätte jenen kleinen Körper nie ein Atemzug beseelt, wäre er leer geblieben. Es wäre kein Töten gewesen, und die Ausgeburt, die du Bruder nennst, hätte es nie gegeben. Aber es gab eine Störung, und den Rest kennst du.« Traurig schüttelte sie den Kopf. »Es war also notwendig.«
Tamír zitterte am ganzen Leib. »Bei den Vieren! Dieses Zimmer am oberen Ende der Treppe … er hat versucht, mir zu zeigen …«
Bruder rückte dicht zu Tamír und flüsterte: »Schwester, unser Vater hat dabeigestanden und zugesehen.«
Sie wich so jäh vor ihm zurück, dass sie gegen die Wand hinter ihr prallte. »Nein! Das hätte Vater nicht getan. Du lügst!«
»Ich wünschte, dem wäre so«, sagte Arkoniel. Nach all den Jahren des Schweigens sprudelten die Worte nun aus ihm hervor wie Wasser aus einem geborstenen Damm. »Dein Vater wollte all das nicht, aber er hatte keine andere Wahl. Es sollte ein kurzer, gnädiger Akt werden. Das hatten wir ihm versprochen, aber wir haben versagt.«
Tamír vergrub das Gesicht in bebenden Händen. »Was ist geschehen?«
»Dein Onkel traf in dem Augenblick, als Bruder geboren wurde, mit Niryn und einer Horde Soldaten ein«, antwortete Arkoniel leise. Die Erinnerung hatte sich ihm ins Gedächtnis gebrannt; jede Einzelheit rief messerscharf das Grauen jener Nacht wach. »Der Lärm erschreckte Lhel und lenkte sie im entscheidenden Augenblick ab. Das Kind holte Luft, und der Geist hatte das Fleisch beseelt.«
Das Gesicht des Dämons verzog sich zu einem frostigen Zähnefletschen. Arkoniel stählte sich, da er einen Angriff erwartete, doch zu seinem Erstaunen drehte sich Tamír dem Geist zu und sagte mit leiser Stimme etwas zu ihm. Bruder blieb an ihrer Seite, aber seine Züge verwandelten sich in eine ausdruckslose Maske … abgesehen von den Augen. Aus ihnen loderte nach wie vor Hass und Verlangen.
»Deine Mutter sollte es nie erfahren«, erklärte Iya weiter, »Ich habe sie berauscht, um ihr all das zu ersparen, aber irgendwie wusste sie es. Und es hat sie zerstört.«
Tamír schlang die Arme um die schmale Brust und sah aus, als litte sie körperliche Schmerzen. »Mein Bruder. Meine Mutter … Das Orakel hatte wieder Recht. Ich bin die ›mit Blut gegossene Saat‹.«
Traurig nickte Iya. »Ja, aber nicht aus Arg oder böser Gesinnung. Du musstest überleben und an die Herrschaft gelangen. Dafür
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