Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
musstest du ein Junge werden und erst später deine wahre Gestalt preisgeben. Und das hast du.«
Tamír wischte sich eine verirrte Träne von der Wange und straffte die Schultern. »Also ist mein Bruder durch deinen Willen gestorben?«
»Ja.«
»Lhel hat Bruder getötet und die Magie gewirkt, aber du hast es veranlasst?«
»Ich allein trage die Verantwortung. Deshalb hasst er mich von jeher so verbittert. Ich sehe es immer noch in ihm, das Verlangen nach meinem Tod. Aber etwas hält ihn zurück. Du vielleicht?« Mit der Hand auf dem Herzen verneigte sie sich tief. »Meine Arbeit wird vollbracht sein, Majestät, wenn sich das Schwert Ghërilains in Eurer Hand befindet. Danach werde ich um keinerlei Gnade bitten.«
»Und du, Arkoniel?« Mittlerweile wirkten Tamírs Augen geradezu flehentlich. »Du hast gesagt, du warst in jener Nacht dabei.«
»Er war damals nur mein Schüler. Er hatte nichts mitzuentscheiden und …«, setzte Iya an.
»Ich beanspruche keinen Sündenerlass«, fiel Arkoniel ihr ins Wort. »Ich kannte die Prophezeiung und habe daran geglaubt. Ich stand tatenlos daneben, während Lhel ihre Magie wirkte.«
»Und doch greift Bruder dich nicht an. Er hasst dich, aber nicht so sehr wie die meisten. Nicht so, wie er Iya hasst.«
»Er hat um mich geweint«, flüsterte Bruder. »Seine Tränen fielen auf mein Grab. Ich konnte sie schmecken.«
»Er ist unfähig zu lieben«, erklärte Iya betrübt. »Er kann nur nicht hassen. Dich hasst er nicht, Tamír, ebenso wenig Arkoniel. Und er hat weder deine Mutter noch Nari gehasst.«
»Ich hasste Vater!«, knurrte Bruder. »Und Onkel. Mutter hat ihn gehasst und gefürchtet. Ich erfuhr ihre Angst im Mutterleib und in der Nacht meiner Geburt. Sie hasst und fürchtet ihn noch immer. Du hast vergessen zu hassen, Schwester, aber wir nicht. Niemals.«
»Du hast über seinem Grab geweint? Er wurde beerdigt – aber seine Knochen waren in Mutters Puppe.«
»Ich habe ihn in jener Nacht begraben«, erwiderte Arkoniel traurig. »Bald darauf haben Lhel und deine Mutter ihn wieder ausgegraben und die Knochen in jene Puppe gesteckt. Ich vermute, das hat dazu gedient, den Geist zu beherrschen oder an deine Mutter zu binden. Sie hat ihn als lebendiges Kind gesehen.«
»Ja. Sie hat ihn gesehen.« Zittrig holte Tamír Luft. »Iya, du und Lhel sind diejenigen, die das Blut meines Bruders vergossen haben?«
»Ja.«
Sie nickte langsam, dann sagte sie unter Tränen, die ihr träge über die Wangen rannen: »Du bist hiermit verbannt.«
»Das kannst du nicht ernst meinen!«, stieß Arkoniel hervor.
»O doch.« Weitere Tränen fielen, aber in ihren Augen blitzte eine Wut, die er noch nie zuvor gesehen hatte. »Ich habe vor dem Volk geschworen, dass jeder, der das Blut meiner Verwandtschaft vergießt, mein Feind ist. Du wusstest das, trotzdem hast du nichts gesagt. Du, die meinen Bruder ermordet hat! Die meine Mutter zerstört hat! Und mein Leben!« Schluchzend holte sie Luft. »Mein ganzes Leben ist … eine Lüge. Ein Fluss von Blut. All die Mädchen, die mein Onkel getötet hat – auch ihr Blut klebt an meinen Händen, denn er – und Niryn – haben nach mir gesucht!«
»Ja.« Iya rührte sich nicht.
»Raus!«, zischte Tamír und hörte sich in ihrer Wut wie der Dämon an. »Ihr seid beide auf ewig aus Skala verbannt. Ich will keinen von euch je wiedersehen!«
Immer noch rührte sich Iya nicht. »Ich werde gehen, Tamír, aber du musst Arkoniel bei dir bleiben lassen.«
»Du schreibst mir nichts mehr vor, Zauberin.«
Iya verharrte reglos, doch die Luft um sie verdichtete sich, und im Raum wurde es dunkler. Die feinen Härchen an Arkoniels Armen sträubten sich unangenehm, als ihre Macht die kleine Kammer erfüllte.
»Ich habe dir mein Leben geschenkt, du törichtes, undankbares Kind!«, fauchte Iya. »Hast du gar nichts gelernt? Hast du in den vergangenen Monaten nichts gesehen? Mir mag nicht deine Dankbarkeit zustehen, aber ich werde nicht zulassen, dass du alles zunichte machst, was ich für dich geschaffen habe, nur weil dir nicht gefällt, wie sich die Welt dreht. Denkst du etwa, es hat mir gefallen, was ich tun musste?
Nun, das hat es nicht. Ich habe es gehasst; aber Menschen wie du und ich suchen sich ihr Schicksal nicht aus, es sei denn, sie werden zu Feiglingen und flüchten davor. Ja, ich bin verantwortlich für alles, was dir widerfahren ist, trotzdem bedauere ich es nicht im Geringsten.
Ist ein Leben oder sind deren hundert nicht wert, geopfert zu werden,
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