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Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin

Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin

Titel: Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Flewelling
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Kränkung ab und schlich den Gang entlang zur Turmtür. Sie stand einen Spalt offen, und er schob sie auf.
    Arkoniel hockte auf der untersten Stufe und fingerte an seinem Zauberstab herum. Auf der zweiten Stufe schimmerte ein Lichtstein.
    Arkoniel erschrak, als er Ki erblickte, dann schüttelte er den Kopf. »Ich hätte wissen müssen, dass du auftauchen würdest«, flüsterte er. »Sie hat darauf bestanden, alleine zu gehen, aber mir gefällt das nicht. Bleib hier bei mir. Sie ruft, falls sie mich braucht.«
    Ki gesellte sich auf der Stufe zu ihm. »Ist ihre Mutter wirklich dort oben?«
    »O ja. Ob sie allerdings entscheidet, sich zu zeigen …«
    Unvermittelt verstummte er, und beide schauten hinauf, als sie leise den Klang von Tamírs Stimme vernahmen. Ki bekam eine Gänsehaut und wusste, was dies bedeutete. Tamír redete mit Toten.
     
    »Mutter?«
    Keine Antwort.
    Der Raum war noch so, wie Tamír ihn im Gedächtnis hatte. Zerbrochene Einrichtungsgegenstände, verrottete Stoffballen und von Mäusen angeknabberte Stopfwollgarben lagen nach wie vor dort, wo Bruder sie hingeschleudert hatte. Unter dem östlichen Fenster war ein Tisch aufgerichtet worden, auf dem die letzten der mundlosen Puppen ihrer Mutter in einer Reihe saßen, schief aneinandergelehnt wie Betrunkene. Unter ihnen hatte Arkoniel ihre Puppe gefunden; Tamír erblickte eine Lücke, wo sie sich befunden hatte.
    Sie ging zum Tisch und ergriff eine der Puppen. Sie war schimmlig und verfärbt, aber die kleinen, sorgsamen Stiche ihrer Mutter waren in den Nähten noch gut erkennbar.
    Tamír hob sie ins Licht und betrachtete das leere Gesicht. Diese Puppe war üppig mit Wolle gestopft und besaß ebenmäßige Glieder. Es überraschte sie, wie verlockend es war, sie mitzunehmen. In gewisser Weise vermisste sie die unförmige Puppe, die sie so lange versteckt hatte, obwohl sie damals eine Bürde gewesen war. Aber sie hatte auch eine Verbindung zu ihrer Mutter und ihrer Vergangenheit dargestellt. Unwillkürlich drückte sie sich die Puppe, die sie nun ergriffen hatte, ans Herz. Wie sehr sie sich gewünscht hatte, ihre Mutter würde eine für sie anfertigen! Tränen brannten ihr in den Augen, und sie ließ sie fließen, als sie um die Kindheit trauerte, die ihr verweigert worden war.
    Ein leises Seufzen richtete ihr die Nackenhaare auf. Sie drehte sich um und ließ den Blick suchend durch den Raum wandern, die Puppe und den Lichtstein fest umklammert.
    Das Seufzen wiederholte sich, diesmal lauter. Tamír spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Schatten am Westfenster – dem Fenster, aus dem ihre Mutter an jenem Wintertag gesprungen war. Das Fenster, durch das sie Tamír stoßen wollte.
    Diesmal ist Bruder nicht hier, um mich zu retten.
    »Mutter?«, flüsterte Tamír erneut.
    Sie vernahm das Rascheln von Röcken und ein weiteres Seufzen voller Schmerz. Dann murmelte eine gespenstische Stimme gleich einem Atemhauch: Mein Kind …
    Hoffnung ließ Tamír den Atem stocken. Sie trat einen Schritt näher. »Ja, ich bin es!«
    Wo ist mein Kind? Wo? Wo …
    Das kurze Aufflackern von Hoffnung erlosch, wie es immer gewesen war. »Mutter?«
    Wo ist mein Sohn?
    Es war genau, wie es an den schlimmsten Tagen ihrer Mutter gewesen war. Sie nahm Tamír nicht einmal wahr, sondern sehnte sich stattdessen nach dem Kind, das sie verloren hatte.
    Tamír setzte erneut zum Sprechen an, doch ein jäher Knall erschreckte sie so sehr, dass sie beinah den Lichtstein fallen ließ. Die Läden des Westfensters erzitterten, als hätte jemand dagegengeschlagen, dann öffneten sie sich langsam und knarrend, aufgeschoben von unsichtbaren Händen.
    Tamír umklammerte die Puppe, verharrte wie erstarrt und beobachtete mit wachsendem Grauen, wie sich eine dunkle Gestalt aus den Schatten löste und mit trägen, ruckartigen Schritten zum Fenster taumelte. Ihr Gesicht war abgewandt, als schaue sie zum Fluss hinab.
    Die gespenstische Frau trug ein dunkles Kleid und drückte sich etwas an die Brust. Sie war etwa genauso groß wie Tamír, und das glänzende, schwarze Haar hing offen bis zur Hüfte hinab. Einzelne Strähnen davon umwehten sie, kräuselten sich träge in der Luft. Als Umriss vor dem nächtlichen Himmel wirkte sie so real wie ein lebendiger Mensch.
    »Mu… Mutter? Sieh mich an, Mutter. Ich bin hier. Ich bin gekommen, um dich zu besuchen.«
    Wo ist mein Kind? Diesmal hörte sich das Flüstern mehr wie ein Zischen an.
    Wo ist deine Mutter? Die Stimme des Orakels suchte sie heim.
    »Ich

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