Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
gebracht hast, werden wir jetzt alle Hunger leiden.«
Irgendwann bremste sein Vater endlich ihre Hand und trug den schluchzenden Jungen zu seiner Pritsche.
Zum ersten Mal in Niryns Leben setzte sich sein Vater zu ihm ans Bett und blickte mit etwas, das Anteilnahme zumindest nahe kam, auf ihn herab.
»Du erinnerst dich an nichts, Sohn? Sagst du auch die Wahrheit?«
»Ja, Papa. Ich weiß nichts mehr, bis ich die Laube brennen sah.«
Sein Vater seufzte. »Na, jedenfalls hast du es geschafft, dich um deine Anstellung zu bringen. Als Zauberer geboren?« Er schüttelte den Kopf, und Niryns Mut sank. Jeder wusste, was mit jenen ihres Ranges geschah, die das Pech hatten, mit einem Hauch von wilder Macht auf die Welt zu kommen.
Gequält von trostlosen Aussichten, fand Niryn in jener Nacht keinen Schlaf. Seine Familie würde verhungern, und ihn würde man auf der Straße aussetzen, auf dass er gezeichnet und gesteinigt würde – und alles wegen etwas, dass diese jungen Fürsten als Spaß bezeichneten! Was wünschte er inzwischen, er hätte sie verpetzt, als er Gelegenheit dazu hatte. Sein Gesicht loderte beim Gedanken an die eigene, nutzlose Fügsamkeit.
Der Gedanke schlug Wurzeln, genährt von Scham darüber, dass er sich durch einen einzigen Blick des Schuldigen zum Schweigen hatte bringen lassen. Hätte er geredet, hätte man in vielleicht nicht verstoßen! Wenn diese drei Jungen ihn nicht zu ihrer Unterhaltung missbraucht hätten, wenn sein Vater sie aufgehalten hätte, wenn Niryn weggegangen wäre, wenn er versuchte hätte, sich zu wehren …
Wenn, wenn, wenn. Es nagte an ihm, und er spürte, wie jenes dunkle Gefühl erneut in ihm emporwallte. In der Finsternis nahm er ein Kribbeln in den Händen wahr, und als er sie anhob, tänzelten blaue Funken wie kleine Blitze zwischen seinen Fingern. Der Anblick ängstigte ihn, und er steckte die Hände in den Wasserkrug neben seinem Bett, da er fürchtete, er könnte die Bettlaken in Brand setzen.
Die Funken verschwanden, und nichts geschah. Als sich seine Angst legte, empfand er nach und nach etwas Neues, etwas, das er noch nie zuvor verspürt hatte.
Hoffnung.
Die nächsten Tage verbrachte er damit, über die Marktplätze zu wandern, wo er versuchte, die Aufmerksamkeit der Beschwörer zu erringen, die dort ihrem Handwerk nachgingen, Talismane verkauften und Zauberkunststücke aufführten. Keiner wollte etwas von einem Gärtnerjungen in selbst gesponnenen Kleidern wissen. Lachend verjagten sie ihn von ihren kleinen Ständen.
Er hatte bereits begonnen, sich damit abzufinden, dass er wirklich verhungern oder auf der Straße landen würde, als ein Fremder an der Tür der Hütte auftauchte, während seine Eltern unterwegs bei der Arbeit waren.
Es war ein gebückter, steinalt aussehender Mann mit einem langen, schmuddeligen Backenbart, doch er trug überaus feine Gewänder, eine weiße Robe mit Silberstickereien um den Kragen und die Ärmel.
»Bist du der Gärtnerjunge, der Feuer machen kann?«, fragte der Greis und starrte Niryn eindringlich in die Augen.
»Ja«, erwiderte Niryn, der ahnte, was der alte Mann verkörperte.
»Kannst du es mir zeigen, Junge?«, erkundigte er sich.
Niryn stockte. »Nein, Herr. Nur, wenn ich wütend bin.«
Der alte Mann lächelte und schob sich uneingeladen an Niryn vorbei. Er sah sich in dem kargen, bescheidenen Raum um und schüttelte nach wie vor lächelnd den Kopf. »Dachte ich mir. Hattest genug von ihnen und hast ausgeschlagen, wie? Bei manchen zeigt es sich auf diese Weise. Bei mir war es so. Hat sich gut angefühlt, was? Ein Glück für dich, dass du sie nicht in Brand gesteckt hast, sonst wärst du jetzt nicht mehr hier. Es gibt viele wilde Rangen wie dich, die gesteinigt oder verbrannt werden.«
Er ließ sich auf dem Stuhl von Niryns Vater an der Feuerstelle nieder. »Komm her, Junge«, sagte er und bedeutete Niryn, sich vor ihn zu stellen. Er legte dem Jungen eine knorrige Hand auf den Kopf und neigte kurz das Haupt. Niryn spürte, wie ein seltsames Kribbeln durch seinen Körper hinablief.
»O ja! Macht – und Ehrgeiz dazu«, murmelte der alte Mann. »Ich kann etwas aus dir machen. Etwas Starkes. Möchtest du stark sein, Junge, und dich nie wieder von jungen Tunichtguten so ausnutzen lassen?«
Niryn nickte, und der Greis beugte sich vor. Seine Augen schimmerten im trüben Licht der Hütte wie die einer Katze. »Eine schnelle Antwort. Ich kann in deinen roten Augen dein Herz erkennen – du hast einen Vorgeschmack davon
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