Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
Haar, fröhliche Augen und sein eigenes Rudel Spielkameraden, die sich die Königlichen Gefährten nannten. Niryn beneidete ihn – nicht um die schönen Kleider oder seinen Titel, sondern um jene Freunde. Niryn hatte keine Zeit zum Spielen und niemanden, der mit ihm gespielt hätte, wenn Zeit dafür gewesen wäre.
Manchmal begleitete er seine Mutter frühmorgens, wenn sie der Königin Ale und Schwarzbrot brachte, was sie jeden Tag frühstückte. Soldatenkost, hatte seine Mutter missbilligend gemeint. Niryn verstand nicht, warum dies kein angemessenes Frühstück für eine Königin sein sollte. Gelegentlich gab sie ihm von der Königin übriggelassene Krusten, die ihm sehr gut schmeckten; das Brot war herzhaft, feucht und vollmundig vor Salz und schwarzem Sirup – viel besser als die dünnen Haferküchlein, die er von den Köchinnen bekam.
»Solcherlei Essen mag vielleicht auf dem Schlachtfeld gut genug gewesen sein, als sie noch eine Kriegerin war!«, befand seine Mutter naserümpfend, als enttäuschte die große Königin sie.
Derselbe Ausdruck trat in ihre Züge, wenn sie morgens einen jungen Adeligen im Bett der Königin vorfand, was häufig vorkam. Niryn sah nie denselben Mann zweimal. Auch dies missbilligte seine Mutter, doch sie verlor nie ein Wort darüber und verpasste ihm Ohrschellen, wenn er sich erkundigte, ob sie alle die Gemahle der Königin waren.
Untertags wimmelte es auf den Gängen vor Männern und Frauen in wunderschönen Kleidern und mit glitzernden Juwelen, aber er und seine Mutter mussten sich zur Wand umdrehen, wenn sie vorübergingen. Es war ihnen nicht gestattet, mit der hehren Gesellschaft zu reden oder Aufmerksamkeit zu erregen. Die Pflicht der Dienerschaft, so hatte ihm seine Mutter erklärt, bestand darin, unsichtbar wie Luft zu sein, und das Kind lernte alsbald, sich dementsprechend zu verhalten. Und genauso behandelten die Fürsten und Fürstinnen den jungen Niryn, dessen Mutter und die Heerscharen der anderen Bediensteten, die sich unter ihnen bewegten, das dreckige Leinen der Adeligen wegbrachten und deren Nachttöpfe leerten.
Die Königin allerdings hatte ihn einmal bemerkt, als seine Mutter ihn nicht rechtzeitig zurückzog, um ebendies zu vermeiden. Agnalain ragte hoch über ihn auf und beugte sich herab, um ihn näher zu betrachten. Sie roch nach Blumen und Leder.
»Du hast ein Fuchsfell. Bist du ein kleiner Fuchs?«, fragte sie kichernd und fuhr mit den Fingern sanft durch seine roten Locken. Ihre Stimme klang heiser, aber freundlich, und die Ränder der dunkelblauen Augen kräuselten sich, wenn sie lächelte. Seine Mutter hatte ihm nie ein solches Lächeln geschenkt.
»Und was für Augen!«, meinte die Königin. »Mit solchen Augen wirst du Großes vollbringen. Was willst du werden, wenn du erwachsen bist?«
Von ihrem liebenswürdigen Gebaren ermutigt deutete er schüchtern auf einen Gardisten in der Nähe. »Ich will einer von ihnen werden und ein Schwert tragen!«
Königin Agnalain lachte. »Tatsächlich? Und würdest du allen Verrätern, die sich einschleichen, um mich zu meucheln, die Köpfe abschneiden?«
»Ja, Majestät«, antwortete er sofort. »Und ich würde die Fische füttern.«
Als Niryn groß genug wurde, um eine Gießkanne zu tragen, endeten seine Besuche im Inneren des Palasts. Stattdessen nahm ihn sein Vater zum Arbeiten im Garten mit. Auch die Gärtner behandelten die hehren Fürsten und Fürstinnen, als wären sie unsichtbar, doch sein Vater hielt es umgekehrt genauso. Ihm lag nichts an Menschen, und er gebärdete sich selbst im Umgang mit Niryns spitzzüngiger Mutter scheu und zurückhaltend. Zuvor hatte Niryn dem Mann nie viel Beachtung geschenkt, nun jedoch entdeckte er, dass sein Vater einen Quell geheimen Wissens verkörperte.
Er war weder geduldig noch weniger einsilbig, aber er brachte dem Jungen bei, wie man einen Blumensämling von einem Unkrauttrieb unterschied, wie man einen Spalierobstbaum an einer Mauer in eine ansprechende Form band, wie man Krankheiten erkannte und wann man ein Beet ausdünnen oder einen Busch beschneiden musste, um den Blüten Vorschub zu leisten. Niryn vermisste die Fische, fand jedoch heraus, dass er eine Begabung für derlei Dinge besaß, gepaart mit der bereitwilligen Neugier eines Kindes. Besonders mochte er die große Bronzeschere, mit der man abgestorbenes Geäst und eigenwillige Triebe abschnitt. Zeit zum Spielen oder um Freunde zu finden, blieb ihm nach wie vor nicht. Stattdessen lernte er zu lieben, den
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