Tamir Triad 03 - Die prophezeite Königin
Garten dabei zu beobachten, wie er sich im Verlauf der Jahreszeiten veränderte. Manche Pflanzen starben, wenn man sich nicht fortwährend um sie kümmerte, während Unkraut wuchs und gedieh, wenn man es nicht täglich bekämpfte.
Niemand bemerkte, dass Niryn als Zauberer geboren worden war, bis er zehn Jahre alt wurde. Dann beschlossen einige von Erius’ Gefährten eines Tages, sich damit die Zeit zu vertreiben, Steine auf den Gärtnerjungen zu werfen.
Niryn stutzte zu dem Zeitpunkt gerade eine Rosenlaube und versuchte bestmöglich, ihnen keine Beachtung zu schenken. Unsichtbar. Er musste unsichtbar bleiben, auch wenn augenscheinlich war, dass die spöttischen jungen Fürsten ihn sehr wohl sehen konnten und obendrein hervorragend zielten. Selbst wenn sie gemeiner Pöbel wie er gewesen wären, hätte er sich nicht gewehrt. Er wusste nicht, wie.
Schon früher musste er Hänseleien und Spott von ihnen über sich ergehen lassen, aber er hatte stets den Kopf eingezogen und so getan, als wären sie nicht da. Tief in seinem Inneren regte sich zwar etwas Dunkles, doch sein Rang war ihm zu gründlich eingebläut worden, um gegenüber besseren Leuten so etwas wie Zorn zu verspüren.
Diesmal allerdings war es anders. An diesem Tag wurde er nicht nur von ihnen gehänselt. Er stutzte weiter, hob sorgsam die Ausläufer an und versuchte, die langen Dornen nicht seine Finger stechen zu lassen. Sein Vater hielt sich unmittelbar hinter der Laube auf und jätete Unkraut in einem Blumenbeet. Niryn sah, wie er herüberschaute, ehe er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. Es gab nichts, was er für Niryn tun konnte.
Rings um den Jungen hagelte es Steine, die seine Füße trafen und von dem Holzspalier neben seinem Kopf abprallten. Er war verängstigt, denn seine Peiniger wurden zu Kriegern ausgebildet und konnten ihn wahrscheinlich übel verletzen, wenn sie wollten. Zunächst fühlte er sich klein und hilflos, dann jedoch regte sich erneut etwas in ihm, tief in seiner Seele, und diesmal wesentlich stärker als je zuvor.
»He, Gärtnerjunge!«, rief einer seiner Peiniger. »Du gibst ein gutes Ziel ab.«
Dem Spott folgte ein Stein, der Niryn zwischen den Schulterblättern traf. Er zischte vor Schmerz, und seine Finger schlossen sich um den Rosenspross, den er gerade stutzte. Dornen drangen in seine Finger, brachten sie zum Bluten.
Mit geducktem Haupt biss er sich auf die Lippe.
»Er hat es nicht einmal gespürt«, rief einer der Gefährten lachend. »He, was bist du? Ein Ochse mit einem dicken Fell?«
Niryn biss sich heftiger auf die Lippe. Bleib unsichtbar.
»Lasst uns mal sehen, ob er das spürt.«
Ein weiterer Stein traf ihn an der Rückseite des Oberschenkels, unmittelbar unter seiner Jacke. Es war ein spitzer Brocken, der ein Brennen verursachte. Niryn achtete nicht darauf und zwackte mit der Schere einen verirrten Trieb ab, doch mittlerweile pochte sein Herz auf eine Weise, die er nie zuvor empfunden hatte.
»Sag ich’s doch. Wie ein Ochse, dumm und dickhäutig.«
Der nächste Stein traf ihn ebenso wie der übernächste in den Rücken.
»Dreh dich um, kleiner roter Ochse. Wir brauchen dein Gesicht als Ziel.«
Ein Stein prallte gegen seinen Hinterkopf, so heftig, dass er die Schere fallen ließ. Unwillkürlich fasste er nach hinten und berührte die brennende Stelle, an der ihn der Stein getroffen hatte. Als er die Finger zurückzog, waren sie blutverschmiert.
»Das hat er gespürt. Noch mal, und härter – mal sehen, ob er sich dann umdreht.«
Niryn konnte seinen Vater sehen, der immer noch vorgab, nicht zu bemerken, was seinem Sohn widerfuhr. Da erkannte Niryn, worin die wahre Kluft zwischen gemeinem Volk und Adel bestand. Niryn war Achtung vor besseren Leuten eingetrichtert worden, doch bisher war ihm nie wirklich bewusst gewesen, dass diese Achtung nicht erwidert wurde. Diese Jungen wussten, dass sie Macht über ihn besaßen, und erfreuten sich daran, sie auszunutzen.
Ein größerer Stein streifte seinen Arm, als er sich bückte, um die Schere aufzuheben.
»Dreh dich um, roter Ochse! Lass uns dein Gebrüll hören!«
»Wirf noch einen!«
Etwas noch Größeres traf ihn am Kopf, diesmal so heftig, dass sich Niryn schlagartig benommen fühlte. Er ließ erneut die Schere fallen und sank auf die Knie. Was danach geschah, vermochte er nicht mit Sicherheit zu sagen. Als er die Augen aufschlug, lag er jedenfalls unter der Laube, an der er gearbeitet hatte, und beobachtete, wie unnatürliche, blaue Flammen die
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