Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Perlenschmuck.
    Seine Augen blinzelten, und sein Mund öffnete und schloß sich. Sein Kopf sank, und ein Stöhnen flog heraus wie ein wirbelndes Gewicht, das von einer Schnur losgelassen wird.
    »Halt!« rief sie. »Halt, er ist vollendet!«
    Der Mann stand mit schwankenden Knien auf dem Wörterbuch und drohte umzukippen. Sie sprang vom Boden auf, um ihn aufzufangen, aber er fiel von ihr weg und brach auf dem Teppich neben dem Stuhl zusammen. Das Buch lag zu seinen Füßen, die oberen Seiten waren geknickt und zerrissen.
    Miss Coates stand über dem Mann, ihre Hände zitterten an ihren Brüsten. Er lag schwer atmend mit geschlossenen Augen auf der Seite. Ihr aufmerksamer Blick wanderte von Punkt zu Punkt auf seinem Körper, ihre Unterlippe wurde von kleinen weißen Schneidezähnen gehalten. Nach einigen Minuten war es ihr möglich, ihren Blick von ihm abzuwenden. Sie schielte zum Wörterbuch, runzelte die Stirn und bückte sich, um durch die Seiten zu blättern. Alle Seiten waren leer.
    »Ich bin nackt«, sagte sie sich und streckte ihre Hände aus, nutzte die Erkenntnis, um sich einen Anstoß zu geben. Sie ging zu dem Platz, an dem sie schlief, um einige Sachen anzuziehen. Sie fragte sich, wie sie ihn nennen sollte. Er hatte wahrscheinlich keinen Namen. Es erschien angemessen, ihn mit einen Namen zu benennen, selbst wenn sie ihn aus einem Wörterbuch aus Papier und Tinte hatte erstehen lassen.
    »Webster«, sagte sie und nickte. »Ich werde ihn Webster nennen.«
    Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück und blickte ihn an. Es schien, als würde er friedlich ruhen. Wie könnte sie ihn zu einem bequemeren Platz befördern? Die Couch war zu schmal, um seinen unbeholfenen Körper zu halten; er war sehr groß, gut über einen Meter achtzig. Sie maß ihn mit dem Maßband aus ihrem Nähkasten. Ein Meter achtundachtzig Zentimeter. Seine Augen waren noch immer geschlossen; welche Farbe hatten sie? Sie kauerte sich mit errötetem Gesicht neben ihn und warnte sich davor, Dinge zu denken, die sie nicht denken durfte, nicht jetzt.
    Sie hatte ihr bestes Kleid an. Es war glatt und burgunderfarben, und ihre blasse Haut hob sich vorteilhaft davon ab. Jedenfalls war es ein Uhr in der Nacht, und sie war erschöpft. »Für den Augenblick hast du es bequem genug«, sagte sie zu dem Mann, der sich nicht bewegte. »Ich lasse dich auf dem Boden liegen.«
    Sie ging in ihr Schlafzimmer und entkleidete sich. So müde sie auch war, konnte sie doch ihre Augen nicht sofort schließen und in Schlummer fallen. Sie fühlte sich, als müßte sie vor Freude schreien und Tränen befeuchteten das Kissen und ihr pfefferfarbenes Haar.
    Er atmete in der Dunkelheit. Träumen, verursachte er die Worte, die durch ihre schläfrigen Gedanken flogen? Oder war es einfach sein Atem, der das Haus mit dem Aroma von Druckerschwärze erfüllte?
    Er bewegte sich in der Dunkelheit, hob einen Arm, ein Bein, sandte Atome von Worten hinauf in den Staub. Seine Augen öffneten und schlossen sich wieder. Dann sein Mund. Er stöhnte und war wieder still.
    Abigail Coates Nackenhaare prickelten bei den ersten Strahlen des Morgens, und sie erwachte mit einem kleinen Schrei, nur wenig mehr als ein hohes Luftholen. Sie rollte sich vom Bauch auf den Rücken und zog Laken und Tagesdecke hoch.
    Webster stand lächelnd in der Tür. Sie konnte ihn im Dämmerlicht kaum sehen. Ihre Augenlider waren vom Schlaf verklebt. »Guten Morgen, Regina«, sagte er.
    Regina Abigail Coates. Alle hatten sie Abbie genannt, als es noch Freunde gab. Niemand hatte sie je Regina genannt.
    »Regina«, wiederholte Webster. »Es ist ein Name, der einen an Königinnen und kanadische Münzen erinnert.«
    »Guten Morgen«, sagte sie schwach. »Wie geht es dir? Wie… fühlst du dich?«
    Der Geist eines Lächelns. Er nickte langsam. »So gut man es erwarten kann.« Er kam in den Raum, hielt inne am Fuß ihres Bettes. »Ich bin recht gut angezogen. Zu gut angezogen. Es ist unbequem.« Ihr Herz war ein kleiner Kolben in ihrer Kehle, kaum geschmiert von dem Schleim, der drohte, sie zu ersticken.
    Er kam zur Seite ihres Bettes. Ihrer Seite.
    »Du hast mich herausgeholt. Warum?«
    Sie starrte hinauf in seine intelligenten grünen Augen, die wie Wassertropfen waren, die aus dem Tiefen des Ozeangrabens aufstiegen. Seine Hand berührte ihre Schulter, verweilte auf dem Band ihres Nachthemds. Ein Finger schlüpfte unter das Band, zog es ein Stück hoch. Sie fühlte den Druck des Stoffes unter ihren Brüsten.
    »Warum?«
    Sein

Weitere Kostenlose Bücher