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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ihrem Stuhl und starrte auf die Blumen an den Wänden.
    Der Morgen war schön. Der Nachmittag heiß und stickig, und sie machte einen Spaziergang, trug eine Sonnenbrille. An diesem schönen Samstag nachmittag beobachtete sie all die jungen Leute. Sie hielten sich an den Händen und gingen in Parks und dort, auf dieser Bank… Sie würde in Schwierigkeiten geraten, wenn sie so weitermachte. Oh, die schwache Chance, Schwierigkeiten zu bekommen. Sie ging zurück zum Apartment und wartete; das glatte Schiebeschloß an der Tür versah treu seinen Dienst. Der Abend verging langsam in der Hitze. Um Mitternacht bauschte eine kühle Brise die sonnengebleichten Vorhänge vor dem Fenster. Dann ließ er sie flattern wie die Hügel eines Geistervogels. Sie las das Wörterbuch, suchte nach Trost und fand statt dessen Worte, an die sie nicht erinnert werden wollte; medizinische Worte, biologische Worte. Sie kamen von den Seiten ungebeten zu ihr und wollten sie nicht in Ruhe lassen. Sie hielt sie nicht für obszön; sie schienen wunderbar. Bei ihrem Klang zitterte sie sehnsüchtig. Wieder endete der Abend in Tränen.
    Die letzten fünf Jahre hatte sie ihre Abende wie diesen verbracht, mit nur wenigen Variationen.
    »Ich brauche einen Liebhaber«, sagte sie sich fest, als das gelbe Sonnenlicht des Morgens über das Bügelbrett und ihr Lieblingskleid – burgunderfarben im Schatten, orangefarben im grellen Schein – kroch. Aber man fand Liebhaber in Büros, und sie arbeitete nicht; in Zügen, und sie reiste nicht; in fernen Ländern, und sie verließ niemals die Stadt. »Ich brauche etwas gesunden Menschenverstand, etwas Selbstkontrolle, um mich zurückzuhalten, um nicht wie ein leichtsinniger Teenager zu denken.« Aber die Wahrheit war – ihr fehlte keineswegs Selbstkontrolle. Sie war ihre Haupttugend.
    Ihr Name, Coates, stand nicht im Wörterbuch. Es gab Coati, Coatimundi, Co-Autor, Liebhaber eines ansehnlichen Autors. Sie würden collaborieren, coexistieren, zelebrieren. Zölibat. Sie schloß das Buch.
    Miss Coates zog die Vorhänge vor dem Fenster zu und streifte langsam ihre Kleidung ab. Sie zog den Reißverschluß mit dem geübten, eleganten Schwung einer Häkelnadel am Rücken hinab, rieb sich das Kreuz mit trockenen Fingerspitzen, das Kinn hoch erhoben, die Augen zu Schlitzen verengt. Kühle Brisen kamen aus dem Dunkel hinter dem Fenster und der Hitze des Apartments, um über ihre Haut zu streichen. Schweiß perlte in der Kluft zwischen ihren Brüsten. Sie war stolz auf ihre Brüste; sie sanken nicht nennenswert herunter, als sie ihren BH auszog. Sie kauerte nieder, streckte die Hände hinter sich aus, um sich zu setzen, und legte sich auf den Boden. Die Arme auf dem rauhen Teppich gespreizt, preßte sie ihr Kinn auf das Schlüsselbein und spähte zu ihren Brüsten, die nun flach und jungenhaft auf ihren hervorstehenden Rippen lagen. Unverdorbene Güter. Sie bedeckte sie mit den Händen. Eine Art Kreuzigung mit geraden Beinen und aneinandergelegter Zehen.
    Ihr Kopf lag nahe am Fenster. Sie blickte auf, um zu sehen, wie sich die Vorhänge atmend bewegten wie ihre Lungen. Der Mund geöffnet. Die Zunge rieb gegen die Rückseite ihrer Zähne. Sie bewegte die Hände zum Bauch und ließ sie auf der warmen Fläche liegen. Ich bin gar nicht so übel. Kein Speck, wenig Falten. Meine Schenkel sind nicht dick, nicht mit Fett durchsetzt.
    Mehr nicht. Sie hob die Hände und rollte sich zur Seite, um sich auf einen Ellbogen zu stützen. Sie blickte zum Wörterbuch, artikulierte lautlos ein Wort: Liebhaber.
    Das Wörterbuch und die Bibel standen klein und unverbindlich in Buckram und schwarzem Leder da.
    »Hilf mir«, bat sie das Wörterbuch und schob die Bibel sanft zur Seite. »Buch aller Bücher, schweres Ding, das ich kaum heben kann, jeder Gedanke liegt in dir, alle menschlichen Möglichkeiten. Alles, was ich fühlen kann, kann durch die Worte, die in dir stehen, ausgedrückt werden. Leben existieren in dir, Leute und Orte, die ich nie gesehen habe, tote Dinge und ungeborene Wesen. Zufluchtsstätte von Geistern und dem Übernatürlichen, Heim von Tyrannen und Heiligen. Sicherlich kannst du einen Mann für mich machen. Kleines Wort, geringe Arbeit. Du kannst mir sogar sagen, wie man einen Mann aus dir macht.« Sie konnte es beinahe sehen; ein Mann, der sich aus dem offenen Buch erhob, der sich wie ein mannförmiger Vogelkäfig drehte, der mit Licht angefüllt war.
    Der Vorhang bauschte sich.
    »Kannst du es nicht?« fragte sie. Das

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