Tangenten
Atem sprühte Worte über ihr Gesicht und ihre Haare. »Und warum… fühle ich mich so verpflichtet…«
Er zog die Blende herunter und schloß die Vorhänge, und sie hörte das Rascheln von Kleidung, die auf einen Stuhl fiel. In der Dunkelheit preßte sich ein Knie auf den Rand ihres Bettes. Ein Finger berührte ihren Hals und Lippen kamen herab, um ihren zu begegnen und sie zu teilen. Eine Zunge forschte.
Sie gab einen kleinen, quiekenden Schrei von sich.
Webster saß in dem überladenen Stuhl und beobachtete, wie sie rausging. Sie schloß die Tür und lehnte sich gegen die Wand, nicht wissend, was sie denken oder fühlen sollte. »Natürlich«, wisperte sie sich selbst zu, als wäre ihr kein Atem oder keine Kraft mehr geblieben. »Natürlich mag ein Mann, der aus Worten gemacht ist, die Sonne nicht.« Aber warum sollte das so offensichtlich sein? Er war ein Mann wie alle anderen, in allen Belangen, außer diesem…
Sie ging die Diele hinunter, an den Türen der Nachbarn vorbei, mit denen sie nur eine Grußbekanntschaft pflegte, und stieg die Stufen zum Erdgeschoß hinab. Die Straße war mit Autos gefüllt, die endlos an ihr vorüberfuhren. Imaginäre Falten in ihrem Kleid glättend, trat sie ins Sonnenlicht und stellte sich der Welt – die neue Regina Coates, Debütantin.
»Ich weiß, was ihr anderen Frauen alle denkt«, sagte sie triumphierend. »Ihr alle!« Sie blickte auf und bemerkte, vielleicht zum ersten Mal in zwanzig Jahren, den Himmel; sie sah Wolken, die über ein hellblaues Laken verstreut waren. Atme tief durch. Sie war nun Teil der Welt, der realen Welt.
Webster saß immer noch im Stuhl, als sie mit zwei Taschen Lebensmitteln zurückkehrte. Er las in der Bibel.
Ihr Gesicht wurde heiß, und sie stellte die Taschen ab und nahm ihm das Buch schnell aus den Händen. Sie konnte seinem fragenden Blick nicht begegnen, also legte sie es auf den Tisch außerhalb seiner Reichweite und sagte: »Du sollst das nicht lesen.«
»Warum nicht?« fragte er. Sie antwortete nicht, nahm die Taschen an den doppeltgefalteten Papierecken wieder auf, brachte sie, an jeder Hand eine, in die Küche und öffnete den alten Kühlschrank, um die leicht verderblichen Sachen einzuräumen.
»Als du gegangen warst«, sagte Webster, »fühlte ich mich, als würde ich mich auflösen.«
Sie blickte zu dem kleinen Spiegel über der Spüle auf. Ihre Schultern zuckten, und ein Schauder lief ihren Rücken hinunter. Ich bin nun sehr weit gegangen.
Sie bereitete eine Mahlzeit zu, aber er weigerte sich zu essen. Doch er saß ihr mit ruhigem Gesicht am kleinen Tisch gegenüber. Die Nachmittagszeitung kam an, und er hielt seine Hand mit einem bittenden Ausdruck auf. Sie gab sie ihm mit einem unsicheren Lächeln. Er rieb mit den Fingern über die Seiten, blätterte sie langsam um, eher wie um sie zu absorbieren als zu lesen. Sie aß ihr kleines zurechtgemachtes Sandwich und trank ihr Glas Grapefruitsaft aus. Sie blickte ihn heimlich von allen Seiten an, während sie die Küche aufräumte.
Was gab es, was man einem Mann zwischen dem Morgen und dem Abend sagen konnte? Sie hatte erwartet, daß ein Mann, der aus Worten gemacht war, voll der Konversation wäre, aber Webster hatte nur sehr wenig Erfahrung und so, während die Worte in ihm existierten, mußten sie noch gesammelt werden. Das vermutete sie wenigstens. Trotzdem, seine bloße Anwesenheit erfreute sie. Er hatte sie genauso real gemacht, wie sie ihn.
Er verweigerte das Abendessen, lehnte es sogar ab, danach ein Glas Wein mit ihr zu teilen (sie hatte nur ein Glas). »Ich denke, daß es an den ersten Tagen einige Unbeholfenheiten geben wird«, sagte sie. »Denkst du nicht?
Eine ruhige Zeit, wenn wir einfach nur zusammensitzen und mit dem anderen beisammen sind. So wie heute.«
Webster stand am Fenster, die Finger an den Lippen, und nickte. Er stimmte den meisten Dingen, die sie sagte, zu.
»Laß uns ins Bett gehen«, schlug sie vor.
Im Dunklen, als ihre Einsamkeit erneut durchbrochen wurde und ihre Stirn mit dem Schweiß der Anstrengung benetzt war, lag er neben ihr und…
Er bewegte sich.
Er atmete.
Aber er schlief nicht.
Regina lag mit dem Rücken zu ihm und starrte mit geweiteten Augen auf die Blumen der alten Tapete. Ein breites Trapezoid grellen Straßenlichts hielt einen kleinen Tisch mit einer Vase gefangen. Sie spürte zehn Jahre – nein, zwanzig! – von sich fallen, und sie konnte ihm jetzt nicht sagen, wie sie sich fühlte, wagte nicht, sich herumzudrehen
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