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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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wieder in sie und sie lächelte im Dunkeln, lag neben der Wärme des Schattens, der nach ihr und Druckerschwärze roch, und fragte sich, ob sie vorsichtig sein mußten. Sie war eine spät Verblühende im biologischen Sinne, und es gab ein gewisses Risiko…
    Als sie daran dachte, mußte sie grinsen. Alles, was sie sich vorstellen konnte, war ein Arzt, der ein feuchtes, blutiges Wesen in seinen Händen hielt und sagte: »Miss Coates, Sie sind stolze Mutter eines 3,5 Kilo schweren… Wörterbuchs.«
    »Gekürzt?« fragte sie frech.
    Sie ging umsichtig einkaufen, suchte die besten Kleidungsstücke, die sie sich leisten konnte, für ihn aus. Sie kaufte eine breite Vielfalt an Stilrichtungen, wobei sie tief in ihre Ersparnisse greifen mußte, um die Rechung zu bezahlen. Für sich selbst suchte sie ein neues Kleid aus, das ihre schlanke Taille vorteilhaft betonte und ihre dünnen Schenkel bedeckte. Sie sah mädchenhaft darin aus, sommerlich. Genau das wollte sie. Sie kaufte das Wörterbuch und stöberte in einem Geschenkeladen nach etwas anderem, das sie ihm mitbringen konnte. »Etwas Witziges und Interessantes für ihn zu tun.« Sie entschied sich für ein Scrabble-Spiel.
    Webster freute sich über das Wörterbuch. Das Spiel betrachtete er zweifelnd, spielte es aber einige Male mit ihr. »Ein Appetitanreger«, nannte er es.
    »Wirst du das Buch essen?« fragte sie halb im Spaß.
    »Nein«, sagte er.
    Sie fragte sich, warum sie sich nicht stritten. Sie fragte sich, warum sie sich nicht verhielten wie normale Paare, wobei sie ihre spöttische innere Stimme ignorierte, die schrie: normal?
    Mein Gott, sagte sie sich nach zwei Wochen und starrte auf die harte Kante des kleinen Tisches in der Küche.
    Männer aus Wörterbücher schaffen, sich zu lieben bis das Bett feucht ist – in meinem Alter! Er riecht immer noch nach Tinte, nicht nach Fleisch. Er schwitzt nicht und er weigert sich, hinauszugehen. Niemand außer mir sieht ihn. Ich. Wer bin ich, um zu entscheiden, ob er wirklich da ist?
    Was würde aus Webster, wenn ich eine Pistole nähme und ein Loch in seinen Bauch, direkt über dem Nabel, schösse? Ein Mann mit einem Nabel, der nicht von einer Frau geboren wurde, ist doch wirklich eine Scheußlichkeit.
    Wenn er nur ein- oder zweimal mehr einfach und ohne Gefühl zu ihr spräche, dachte sie, würde sie das Experiment versuchen und sehen, was geschähe.
    Sie kaufte eine kleine graue Pistole, heimlich wie eine Maus, aber so ehrbar wie ein Bürger, zu seinem Schutz, und versteckte sie in ihrer Schublade.
    Ein paar Stunden später überlegte sie es sich anders, schauderte vor Ekel, entfernte die Patronen und schleuderte sie durch das Hinterfenster des Apartments in den brachliegenden Garten im schmalen Hof darunter.
    Am letzten Tag, als sie einkaufen ging, hatte sie die leere Pistole bei sich, so daß er sie nicht finden konnte – obwohl er kein Interesse am Schnüffeln zeigte, was letzten Endes wenigstens ein Zeichen für Einfühlsamkeit gewesen wäre. Die Wölbung in ihrer Tasche machte sie nervös.
    Sie kehrte bis zur Abendessenszeit nicht zurück. Das Apartment gehört nun nicht mehr mir. Er unterdrückt mich. Sie trat ruhig durch die Vordertür, sah, daß das Wohnzimmer verlassen war und hörte ein leises Geräusch hinter der verschlossenen Schlafzimmertür. Licht fiel auf den Boden.
    »Webster?« Stille. Sie klopfte leicht an der Tür. »Bist du bereit zu reden?«
    Keine Antwort.
    Er macht mich verrückt, wenn er sich so verhält. Wenn ich ihm einen Schrecken einjage, damit er auf irgend eine Weise auf mich reagiert. Sie nahm die Pistole heraus, fummelte daran herum und umfaßte den Griff. Sie fühlte sich in ihrer Hand beachtlich an.
    Die Tür war verschlossen. Wütend, daß sie aus ihrem eigenen Schlafzimmer ausgesperrt sein sollte, nahm sie den Revolver mit in die Küche und fand eine Haarnadel in der Schublade, die sie schon einmal vor Monaten benutzt hatte, als ihre Tür versehentlich abgeschlossen gewesen war. Sie kniete vor dem Türknauf nieder und fummelte mit zusammengebissenen Zähnen und aufeinandergepreßten Lippen herum.
    Mit einem kleinen Schrei stieß sie die Tür auf.
    Webster saß mit überkreuzten Beinen auf dem Boden neben dem Bett. Vor ihm lag das geöffnete Wörterbuch. »Nicht jetzt«, sagte er und verfolgte mit dem Finger eine Reihe von Worten. »Wonach suchst du?« fragte sie und legte ihre Finger enger um die Pistole.
    Sie trat näher, blickte hinunter und sah, daß er unter ›W‹

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