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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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    Diesmal war es wieder die Wüste, nur sahen die Orte und die eingestürzten Häuser zerbombt aus, als wäre etwas großes durchgekommen und hätte alles mit einer Haubitze weggefegt.
    Augen auf die Straße. Den Schlepper in Bewegung halten.
    Nach vier Stunden erreichte ich eine Straßensperre. Niemand zu sehen, keine Angestellten, nur große, behauene Lavabarrikaden, die über alle Fahrspuren reichten. Hinter ihnen stieg gelber Rauch auf, der, so wies das ungeschriebene Gesetz der Fahrer an, ›Absolut keinen Eintritt‹ bedeutete.
    Ich stieg aus. Die Ladung machte Lärm. Plötzlich haßte ich sie. Nichts Schönes darunter – nur nackte Höllenkunden, die riefen und schrien und Drohungen ausstießen, als wäre es nicht bereits um sie geschehen. Sie hatten ihre Chance gehabt und verschissen, und nun schissen sie immer noch die Welt voll.
    Sie konnten doch wenigstens in Würde gehen und mir ihre Qualen ersparen.
    Das war wahrscheinlich genau das, was die Lokführer der Züge nach Auschwitz auch gedacht hatten. Yeah, yeah, außer, daß ich der Kamerad war, der diese Lokführer zu ihren gerechten Höllen schleppen mochte.
    Scheiße, ich konnte mich bei der ganzen Sache nicht für die eine oder andere Seite entscheiden. Ich konnte mich verrückt und schuldig fühlen – und ich konnte an Jesus glauben. Wahrscheinlich werde ich mich genauso beschweren, wenn meine Zeit gekommen ist. Jesus H. – ein menschlicher Christ des 20. Jahrhunderts.
    Ich stand beim Truck und wartete auf Anweisungen oder einen Hinweis, was ich nun tun sollte. Die Ladung wurde nach einer Weile ruhiger, aber ich hörte Geräusche von der Straße, Schreie hauptsächlich – weit entfernt.
    »Da ist nichts«, sagte ich mir und zündete mir eine von Bills Zigaretten an, obwohl ich gar nicht rauche und nahm einen tiefen Zug, »nichts, was diese Scheiße wert ist.« Ich gelobte, nach dieser Fuhre zu kündigen.
    Ich hörte etwas hinter den Anhängern herankommen und schob mich näher an die Kabinentreppe. Hohe Rauchsträhnen verbargen die Dinge zuerst, aber dann tauchte eine drei oder dreieinhalb Meter große, dunkle Gestalt daraus auf und blieb mit einer Hand an den oberen Latten des hinteren Anhängers stehen. Sie war mit nackten Leuten bedeckt, die überall an ihr herumkrochen, die sie bissen und kratzten und Obszönitäten riefen. Sie stieß kleine grunzende Geräusche aus, fiel auf die Knie, stand wieder auf und taumelte von der Straße. Einige der Leute, die daranhingen, sahen mich und riefen mich um Hilfe an.
    »Hilf uns diesen Hurensohn niederzustrecken!«
    »He, du! Wir haben ihn schon fast!«
    »Er ist ein Fahrer…«
    »Dann soll er uns am Arsch lecken.«
    Ich hatte vorher noch nie einen solch gewaltigen Angestellten gesehen und auch keinen, in solch großen Schwierigkeiten. Die Ladung begann zu heulen wie Todesfeen. Ich schmiß meine Zigarette weg und lief hinter ihm her.
    Arbeiter können es Ihnen sagen: Kameradschaft reicht selbst bis zu denjenigen im Job, die man nicht mag. Sind sie in Schwierigkeiten, ist es Teil des geheimnisvollen Nimbus’, zu helfen. Nebenbei bemerkt, die ungeschriebenen Gesetze waren sehr deutlich, was solche Angelegenheiten betraf, und ich habe niemals wissentlich eine Jobregel gebrochen – nicht, seitdem ich meinen Schlepper zurück hatte – und sah nicht ein, weshalb ich jetzt damit anfangen sollte.
    Ich rannte durch den Rauch und über große Lavagrate, bis ich den Angestellten zehn Meter vor mir ausmachte. Er hatte die nackten Leute abgeschüttelt und stand mit einem von ihnen in jeder Hand da. Seine Schultern rauchten und Schuppen standen in allen Winkeln hervor. Sie hatten ganze Arbeit an dem Bastard geleistet. Zehn oder zwölf der Toten rappelten sich von der Lava auf, ohne Kratzer, ohne Verbrennungen. Sie sahen mich.
    Der Angestellte sah mich.
    Alle kamen auf mich zu. Ich drehte mich um und lief auf den Truck zu, stolperte, fiel, verbrannte und zerschrammte mich überall. Meine Haare standen zu Berge. Leute griffen nach mir, baten mich, sie herauszuziehen – alte, junge, alle kriecherisch und schreiend wie geprügelte Hunde.
    Dann schwang mich der Angestellte hoch und außer Reichweite. Seine Hand war kalt und hart wie eine Eisenzange aus einem Gefrierfach. Er grunzte und rannte auf meinen Truck zu, öffnete die Tür weit und warf mich grob ins Innere. Er machte mir mit riesigen, wilden Gebärden klar, daß ich besser wenden und zurückfahren sollte, daß es keine gute Idee war, zu warten

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