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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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und es keinen Weg hindurch gäbe.
    Ich startete den Motor und wendete den Schlepper. Ich drehte meine Scheibe hoch und hoffte, die Toten waren nicht substantiell genug, um den Lack zu zerkratzen oder die Latten zu zerbrechen.
    Alle Regeln waren nun außer Kraft gesetzt. Was war mit denen in meiner Ladung? Während ich all diese Dinge tat, war mein Verstand angefüllt mit Fragen: Wie konnten Seelen zurückschlagen? Gab es denn keine strikten Befehle in der Hölle, die solche Dinge unterbanden? Dies war angedeutet worden, als ich angeheuert hatte. Der sicherste Job überhaupt.
    Ich fuhr die Straße zurück. Meine Ladung schrie, wie keine andere Ladung zuvor. Ich fürchtete, sie könnten rauskommen, aber sie schafften es nicht. Ich erreichte den Annex und sie waren ruhig, zu ruhig für mich, um trotz des Diesels etwas zu hören.
    Die Höfe waren verlassen. Die langen, weiß gestrichenen Betonplattformen und die weißgewaschenen Holzlatten-Laderampen waren unbesetzt. Keine Seelen im Gatter.
    Der Himmel war von einem unbestimmten Grau. Eine verschwommene gelbe Sonne schien schwach auf die eintönig weißen Angestelltenräume. Ich stoppte den Truck und schwang mich herunter, um nachzuschauen.
    Es gab keinen Wind, nur Stille. Die Luft war frostig, ohne besonders kalt zu sein. Was ich am dringendsten wollte, war auszuladen und von hier abzuhauen, zurück nach Baker oder Barstow oder Shoshone zu fahren.
    Ich hoffte, das war immer noch möglich. Vielleicht waren alle Ausgänge geschlossen worden. Vielleicht hatten die Aufseher sie geschlossen, um nicht noch mehr Seelen entkommen zu lassen.
    Ich probierte die Gatterriegel und konnte sie öffnen. Ich tat es und kehrte zum Truck zurück, schwang den hinteren Anhänger herum bis er an der Rampe anstieß. Niemand gab einen Laut von sich. »Geht zurück«, sagte ich. »Geht zurück! Ihr verbringt hier noch mehr Zeit. Fragt mich nicht, warum.«
    »Hallo, John«, sagte jemand hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen älteren Mann ohne einen Fetzen Kleidung. Ich erkannte ihn zuerst nicht. Seine Augen gaben mir schließlich einen Anhaltspunkt.
    »Mr. Martin?« Mein Geschichtslehrer an der Oberschule. Ich hatte ihn vielleicht zwanzig Jahre nicht mehr gesehen. Er sah nicht viel älter aus, aber bis dahin hatte ich ihn noch nie nackt gesehen. Er war tot, aber er war nicht wie die anderen. Er hatte nicht den Blick, der mir sagte, warum er hier war.
    »Das ist nicht die Art von Job, den zu ergreifen ich von einem meiner Schüler erwartet hätte«, sagte Martin. Er lachte das sanfte Lachen, wofür er berühmt war, das Lachen, das schien, als nähme es alles im Klassenzimmer und rücke es in Perspektive.
    »Ich hätte nicht erwartet, gerade Sie als ersten hier zu finden«, erwiderte ich.
    »Die Katzen sind weg, John. Die Mäuse haben jetzt das Sagen. Ich versuche, von hier zu verschwinden.«
    »Wie lange waren Sie hier?« fragte ich.
    »Ich starb vor einem Monat, glaube ich«, sagte Martin. Er hatte noch nie ein Blatt vor dem Mund genommen.
    »Sie können nicht weg«, sagte ich, tat meinen Job selbst gegenüber Mr. Martin. Ich fühlte, wie mir das Eis die Kehle heraufkroch.
    »Mannschaftsspieler«, sagte Martin. »Immer noch der Mannschaftsspieler im Spinnerteam, selbst wenn die Mannschaft sich keinen Deut darum schert, was du tust.«
    Ich wollte mich erklären, aber er ging in Richtung Annex und der Straße nach draußen davon. Über die Schulter zurückblickend sagte er: »Werde klug, John. Die Dinge sind nicht, wie sie scheinen. Waren sie nie.«
    »Sehen Sie!« rief ich ihm nach. »Ich werde kündigen, ehrlich, aber ich bin für diese Ladung verantwortlich.« Ich glaubte zu sehen, wie er den Kopf schüttelte, als er um die Ecke des Annex ging.
    Die Toten meiner Ladung hatten einige der Rampenlatten gelockert und sprangen vom hinteren Anhänger herunter. Die im vorderen Hänger schrien und schrien weiter und schüttelten den gesamten Schlepper.
    Verantwortung, Scheiße, dachte ich. Als die Toten Mr. Martin folgten, koppelte ich beide Anhänger ab. Dann stieg ich in die Kabine und fuhr fort vom Annex auf die hereinführende Straße. »Ich werde kundigen«, sagte ich. »So sicher wie nur was – ich werde kündigen.«
    Die Straße nach draußen schien schrecklich lang. Ich sah erstaunlicherweise keinen der Toten, aber vielleicht waren sie schon verlegt worden. Ich nahm eine Route, die ich vorher noch nie befahren hatte, und hatte keine Ahnung, ob sie mich dahin führen würde, wohin ich

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