Tangenten
wollte. Aber ich befuhr sie für zwei Stunden und steuerte den Truck geradewegs ins Flachland.
Die Luft wurde grauer, als würde jemand den Kontrast an einem Fernseher verstellen. Ich stellte das Fernlicht an, aber es half nichts. Ich zitterte in meiner Kabine und sagte mir, niemand verdiente dies. Niemand verdient es, in die Hölle zu kommen, ganz egal, was man getan hatte. Ich fürchtete mich. Es wurde kälter.
Nach drei Stunden sah ich den Annex und die Höfe wieder vor mir. Die Straße machte einen Bogen zurück. Ich fluchte und bremste den Schlepper auf Schneckentempo ab. Die Verladebuchten waren in Brand gesteckt worden. Tote gingen umher – ohne Vorstellung, was sie tun oder wohin sie gehen sollten. Ich beschleunigte und fuhr über die hinweg, die sich auf der Straße befanden. Die Stoßstange des Tracks traf sie, aber ich spürte nichts davon, als wären sie gar nicht da. Ich sah im Rückspiegel, wie sie aufstanden, nachdem sie niedergestreckt worden waren. Gerade niedergestreckt. Dann war ich an den Verladebuchten vorüber und daran gab es diesmal keinen Zweifel.
Ich fuhr geradewegs auf die Hölle zu.
Der Endladungsterminal brannte ebenfalls. Aber die Stadt dahinter war hell und weiß und unberührt. Zum ersten Mal fuhr ich am Terminal vorbei und nahm die Straße zur Stadt.
Es hieß entweder das, oder auf dem Flachland mit allem verrückten bleiben. Drinnen, dachte ich mir, hatten sie vielleicht alles unter Kontrolle.
Der Truck röhrte durch die Tore, zwischen zwei weißen Säulen, zwanzig oder fünfundzwanzig Meter dick und so groß wie das Washington Monument, hindurch. Ich sah niemanden, weder Angestellte noch Tote. Dann war ich durch die Säulen – und es kam wie ein Schock.
Da war keine Stadt, keine Mauern, nur die Straße, die sich in alle Richtungen durch die Landschaft wand, sogar dahinter.
Die Landschaft war durchsetzt mit kleinen und großen Gruppen von Schuppen und Häusern. Alles war dicht gedrängt, Leute arbeiteten auf einem Hügel, Leute saßen auf ihren Verandas, gingen über die Straße, drehten sich, um mich anzustarren als der Schlepper durchfuhr. Keine Angestellten – keine Monster. Keine Flammen. Keine blutigen Seen oder Flüsse.
Das mußte der äußere Teil sein, dachte ich. Tiefer drinnen würde es schlimmer werden.
Ich fuhr weiter. Der Hund in mir sagte, ich solle mich nach einer Autorität umschauen, einige Fragen stellen und rausfahren. Aber der Affe meinte, ich solle mich nur ein wenig umsehen und herausfinden, was vorging, was so in der Hölle los ist.
Eine weitere Stunde Fahrt durch diese ruhige, bevölkerte Landschaft, und der Truck hatte keinen Treibstoff mehr. Ich rollte an die Seite und stieg sehr nervös aus.
Wieder zündete ich mir eine Zigarette an und lehnte mich, etwas zittrig, gegen den Kotflügel. Aber das Zittern hörte bald auf und wurde durch eine eiserne Ruhe ersetzt.
Die Landschaft war wie zuvor bevölkert, aber niemand sah gequält aus. Kein Schreien, keine immerwährende Agonie. Bäume, Sträucher, Grashügel und abertausende kleine Häuser.
Die Bewohner brauchten etwa zehn Minuten, um herüber zu kommen und mich zu mustern. Zwei Männer kamen zu meinem Truck und nickten höflich. Beide waren mittleren Alters und wirkten gesund. Sie sahen nicht tot aus. Ich nickte zurück.
»Wir haben gewettet, ob Sie einer der Fahrer sind oder nicht«, sagte der erste, ein schwarzhaariger Typ. Er trug ein einfaches, handgewebtes Hemd und eine Hose. »Ich denke, Sie sind einer. Ist es so?«
»Ich bin einer.«
»Dann haben Sie sich verirrt.«
Ich stimmte zu. »Vielleicht können Sie mir sagen, wo ich bin?«
»Hölle«, sagte der zweite Mann, der einige Jahre jünger war und nur Shorts anhatte. Die Art, wie er es sagte, war als sagte man, man käme aus Los Angeles oder Long Beach. Nichts Großartiges, nichts Dramatisches.
»Wir haben Gerüchte gehört, es hätte Probleme draußen gegeben«, sagte eine Frau, die sich zu uns gesellt hatte. Sie war etwa sechzig und dünn. Sie sah aus, als müsse sie hampelig und nervös sein, aber sie gab sich seelenruhig.
»Es gibt so eine Art Streik«, sagte ich. »Ich weiß nicht, worum es sich handelt, aber ich suche einen Angestellten, um ihn danach zu fragen.«
»Gewöhnlich kommen sie nicht so weit herein«, sagte der erste Mann. »Wir haben die Dinge hier in der Hand. Oder vielmehr, uns sagt keiner, was wir machen sollen.«
»Sie sind lebendig?« fragte die Frau mit einem seltsamen Hunger in ihrer Stimme. Andere
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