Tansania Stefan Loose E-Book Reisef¿hrer
den Göttern her.
Die Ausprägungen dieser Altershierarchie sind im Alltag spürbar. Ältesten sowie Führern wird zumeist widerspruchslos gehorcht und ihren Anweisungen ohne kritische Reflexion Folge geleistet. Entscheidungen dürfen jeweils nur von jenen getroffen werden, die in der Hierarchie ganz oben stehen. Dies hat zur Folge, dass in der tansanischen Kultur Kritik verpönt ist, insbesondere an einem Führer oder einem Älteren. Engagierte politische Nachwuchskräfte stoßen dadurch bald an ihre Grenzen, denn amtierende Politiker sind faktisch unantastbar und haben so einen Freibrief für halbherzige oder auch sinnlose Maßnahmen.
Geschlechterrollen
Spätestens seit der Kolonialisierung und Missionierung Ostafrikas haben patriarchalische Gesellschaftsstrukturen – bis auf wenige Ausnahmen (s. S. 130 ) – das ganze Land erfasst, wobei das Patriarchat auch schon vorher die dominante Gesellschaftsform der meisten Ethnien war. Frauen nehmen so generell eine schwächere Position in der Gesellschaft ein, auch hinsichtlich ihrer Sexualität innerhalb einer Partnerschaft (die mehr der Reproduktion denn als Liebesbeweis dient). Dieser Umstand ist beispielsweise dafür verantwortlich, dass Frauen viel häufiger von ihren Männern mit HIV infiziert werden als umgekehrt. Männer bringen Aids aus der Stadt, von Prostituierten oder von ihren Affären
(nyumba ndogo
, „kleines Haus”), während die Frauen auf dem Land bei den betagten Eltern und den Kindern bleiben. Die Ungleichheit von Mann und Frau spiegelt sich auch in der Gesetzgebung und Rechtsprechung wider, die Frauen klar benachteiligt, egal ob beim Landerwerb oder beim Erbrecht. Gesellschaftspolitisch wundert es kaum, dass Frauen in der politischen und wirtschaftlichen Elite nur marginal vertreten sind; nur wenige Frauen leiten Unternehmen, haben politische Ämter oder unterrichten an Universitäten.
Dass Mädchen und Frauen oft von Bildung ausgeschlossen sind, liegt auf der Hand, obwohl 1977 die allgemeine Schulpflicht für Grundschulen eingeführt wurde. Viele Mädchen werden im Alter von 13 oder 14 Jahren zwangsverheiratet und bereits vor Abschluss der Grundschule dem Bildungssystem entzogen. Manche Stimmen in Tansania fordern eine gesetzliche Abschaffung der Kinderheirat, doch der Gesetzgeber agiertverhalten. Auch die Reaktion auf ungewollte Schwangerschaften im Kindesalter ist äußerst frauenfeindlich. Mädchen, die von ihren Lehrern, Nachbarn oder Schulkameraden vergewaltigt und so ungewollt schwanger werden, müssen die Schule verlassen und haben neben dem Spott auch noch die die Konsequenzen zu tragen. So werden die Mädchen ihrer Zukunftschancen beraubt. Sind sie erst einmal aus der Schule ausgeschlossen, stehen die Chancen schlecht, dass sie jemals wieder in den Schulprozess eingegliedert werden und einen Schulabschluss machen; die Spirale der Armut beginnt sich zu drehen. Viel weniger Mädchen als Jungen schaffen es zudem in die kostenpflichtige Sekundarschule (ab 14 Jahren), hier wird den männlichen Nachkommen der Familie klar der Vorzug gegeben.
Traditionell ziehen die Männer vom Land in die Stadt, um einen Arbeitsplatz zu finden, was zu einem geschlechtsspezifischen Ungleichgewicht führt (und die Prostitution sowie die Ausbreitung von Aids fördert). Frauen bleiben in ihren Heimatdörfern und sind für die Kindererziehung, die Feldarbeit sowie die Tierzucht verantwortlich. Daneben kommt der Frau auch eine soziale Rolle innerhalb des Familienverbandes zu, wenn Ältere oder Kranke gepflegt werden müssen. Trotzdem ist es das erklärte Ziel jeder Frau, zu heiraten und Kinder zu bekommen, obwohl sich dies in den großen Städten zumindest unter den gebildeten Frauen zu ändern beginnt. Viele entscheiden sich nur mehr für Kinder – ohne Mann, was sich bei gutem Verdienst, der die Anstellung einer Kinderfrau ermöglicht, relativ problemlos realisieren lässt.
Männer hingegen stecken nicht so eng im Korsett der gesellschaftlichen Verpflichtungen und Erwartungen. Während Frauen in jedem Fall ihre Kinder ernähren müssen, scheint die Erwerbstätigkeit der Männer eher freiwilligen Charakter zu haben, vielen Männern fehlt zudem das Verantwortungsgefühl für ihre Familie. Auch in puncto Sexualität genießen sie viel mehr Freiheiten als Frauen. So wird es als natürlich angesehen, dass auch verheiratete Männer mehrere Sexualpartnerinnen haben, da die Ansicht vorherrscht, dies läge in der Natur der Männer.
Der Alltag von Mann und Frau
Weitere Kostenlose Bücher