Tansania Stefan Loose E-Book Reisef¿hrer
zweifellos Englisch. Der Tourismus, westliche Investoren, Entwicklungsorganisationen, die UNO und nicht zuletzt die äußerst umtriebige EU benutzen Englisch als
lingua franca.
Im Vergleich zu Kenia ist es aber um die Englischkenntnisse der Tansanier generell schlechter bestellt. Sobald man die Ballungszentren verlässt, ist es äußerst hilfreich, ein paar Brocken Swahili zu beherrschen. Es gibt Stimmen im Land, die genau diesen Umstand als ein Manko für die Entwicklung Tansanias ansehen.
Gesellschaft
Die Wirtschaftseinheit Großfamilie
So rasant sich die tansanische Gesellschaft in den letzten Jahren auch entwickelt hat, zentrale traditionelle Strukturen blieben trotzdem erhalten. Eines der Grundmerkmale der tansanischen Gesellschaft ist die sogenannte
extended family
, die Großfamilie. Meistens handelt es sich um große, unüberschaubare Familienclans, deren Mitglieder teilweise nicht einmal blutsverwandt sind. Sogar in der Sprache manifestieren sich diese gesellschaftspolitischen Strukturen Üblicherweise titulieren sich Gleichaltrige oder Gleichrangige gegenseitig als
kaka
(Bruder) oder
dada
(Schwester). Auch als Reisender wird man auf der Straße vielleicht mit
brother
oder sister angesprochen, was sich für unsere mitteleuropäischen Ohren unpassend, ja sogar anbiedernd, anhört. Im tansanischen Kontext macht diese Anrede aber durchaus Sinn.
Grob gesagt stellt die
extended family
eine Wirtschaftseinheit dar – ein Versorgungssystem, ohne das die Gesellschaft kollabieren würde. Familienmitglieder mit Einkommen versorgen die mittellosen Familienmitglieder mit Geld, Nahrungsmitteln, medizinischer Hilfe und Ähnlichem, während Familienmitglieder, die nicht im Erwerbsleben stehen, sich um das Haus, die Kinder oder die Ernte kümmern. Wohnraum, Arbeit, Betreuungspflichten, gar Geld – alles wird geteilt.
Die Großfamilie ist Segen und Fluch zugleich. Auf der einen Seite übernimmt sie jene Aufgabe, die in europäischen Gesellschaften dem Staat zufällt: Sie sorgt für die Kranken und sozial Schwachen, die – aufgefangen im Familienverband – in Würde leben können. Männer mit Einkommen versorgen ihre arbeitslosen Brüder und deren Familien; Hochzeiten, die – gemessen an den durchschnittlichen Einkommen – horrende Summen verschlingen, können so finanziert werden, da jeder, der in der Familie Geld hat, zu einem finanziellen Beitrag verpflichtet ist. Für Begräbnisse gilt dasselbe.
Trotz aller positiven Aspekte aber hemmt die Großfamilie, zumindest von einem westlichen Blickpunkt aus gesehen, Eigeninitiative und Entwicklung. Zum einen haben Menschen mit durchschnittlichen Jobs und durchschnittlicher Entlohnung kaum die Möglichkeit, große Summen an Geld anzusparen – etwa für ein Moped, ein Auto, ein kleines Häuschen, eine Geschäftseröffnung oder gar die Schulbildung der Kinder –, denn die Verwandtschaft fordert Geldleistungen vehement ein. Es gilt als unhöflich, die Bitte nach Geld zurückzuweisen; das männliche Familienoberhaupt kommt nicht darum herum, seiner Mutter, dem Onkel oder dem Neffen Geld zuzustecken.
Der Kanga
Wer denkt bei Ostafrika nicht an die bunten, farbenprächtigen Tücher, in die sich Frauen in jeder Lebenslage einwickeln und die ihre ständigen Begleiter sind? Kinder werden darin gestillt und getragen, Lasten damit auf dem Kopf nach Hause transportiert und Botschaften an die Außenwelt gesandt. Eine mit den alten Traditionen verbundene tansanische Frau würde niemals ohne ihren Kanga aus dem Haus gehen, da sie sich sonst nackt fühlen würde.
Ein Baumwolltuch mit den Maßen 1,50 × 1 m verbindet alle Frauen über Alters-, Gesellschaftsund Einkommensklassen hinweg. Modebewusste Sansibari-Frauen erfanden den Kanga im 19. Jh., als sie mehrere
leso
(Taschentücher, die die Portugiesen in Afrika eingeführt hatten) zu einem großen Wickeltuch zusammennähten. Die ersten Textilien glichen also eher einer Patchworkdecke als dem heutigen Kanga. Ein Name war rasch gefunden, denn die weißen Punkte auf einigen Kanga-Mustern erinnerten an Perlhühner (Swahili:
kanga).
Böse Zungen behaupten, die Männer hätten dem Baumwolltuch den Namen in Anlehnung an die als eitel verrufenen und unablässig schnatternden Perlhühner gegeben.
Findige Unternehmer erkannten rasch das Marktpotenzial und begannen das Tuch industriell herzustellen. (Andere Quellen berichten, dass das Tuch in Mombasa erfunden wurde – und die Sansibaris es als Erste industriell erzeugten.) Aufgrund der
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