Tansania Stefan Loose E-Book Reisef¿hrer
konfrontiert, um Krankheiten, Todesfälle, Kinderlosigkeit oder ähnliche Schicksalsschläge zu kommentieren und zu relativieren.
Um zu verhindern, dass die Religion in Tansania (wie in vielen Ländern Afrikas) zu einem Politikum wird, wird bei Volkszählungen seit 1967 nicht mehr nach der Religionszugehörigkeit gefragt. Man nimmt an, dass Christen unter den Festlands-Tansaniern die stärkste Gruppe bilden (etwa 40 %, jeweils zur Hälfte katholisch und protestantisch), während an die 30 % dem moslemischen Glauben angehören. Schätzungsweise an die 30 % der Bevölkerung sind Anhänger traditioneller Religionen und des Ahnenkults. Auf Sansibar stellen Moslems mehr als 95 % der Bevölkerung. Daneben existiert eine hinduistische Minderheit. Das Zusammenleben funktioniert weitgehend friedlich, obwohl auch in Tansania fundamentalistische islamische Tendenzen spürbar sind.
Das Christentum hat sich weiträumig über ganz Tansania verbreitet, während der Islam an der Swahili-Küste sowie auf den Inseln dominiert. Dort werden neben den staatlichen auch islamische Feiertage begangen, die jedoch in unserem (gregorianischen) Kalendersystem nicht genau datiert werden können, weil der islamische Kalender sich exakt nach dem Mond richtet (s. S. 49 ). Diese Feiertage gelten für alle Moslems, egal ob es sich um Sunniten (die in Ostafrika überwiegen), Ismaeliten, Schiiten oder Sikhs handelt.
Die Missionierung Afrikas und Tansanias ist noch lange nicht abgeschlossen. In den Kirchengemeinschaften der Industriestaaten gilt Afrika als der Kontinent mit dem größten Potenzial – und offensichtlich noch vielen verlorenen Seelen. Ob Moslems, katholische Missionare, die Zeugen Jehovas, Pfingstkirchen
(Pentecoastal Church)
oder Quäker, sie alle drängen nach Tansania, besonders in Gegenden, die von anderen Religionsgemeinschaften bis dato unberührt blieben. Bibeln werden in die lokalen Sprachen übersetzt, Kirchen gebaut, Messen abgehalten, Bibel- und Koranschulen für Kinder initiiert. Oft unterhalten Missionen auch Schulen und Krankenhäuser, was natürlich die Lebensqualität der Menschen im Busch verbessert. Andererseits sorgen diese Einrichtungen auch für eine starke Bindung zur jeweiligen Religionsgemeinschaft – und dafür, dass die lokale Bevölkerung die Bibel in der Stammessprache überhaupt lesen kann.
Die Geister, die ich rief
Es ist paradox – adrett gekleidet, frisch gewaschen und mit reinem Herzen strömen sie Sonntag für Sonntag in die Kirchen. Doch auch die intensivsten Missionierungsversuche (von christlicher als auch von islamischer Seite) konnten nichts daran ändern, dass die meisten Tansanier böse Geister und Hexen noch immer als allmächtig ansehen.
Eines der am besten dokumentierten Beispiele aus früheren Tagen ist vielleicht der Maji-Maji-Aufstand (1905–1907) im südlichen Tansania, wo sich die Menschen gegen das Regime der Kolonialregierung erhoben (vgl. S. 239 ). Um den Kriegern im Kampf gegen die Kolonialtruppen Mut einzuflößen, verabreichte man ihnen ein Zauberwasser
(maji
bedeutet Wasser), das die Gewehrkugeln der deutschen Soldaten an ihnen abprallen lassen sollte. So gestärkt, traten Zehntausende der Rebellion bei – und bezahlten natürlich mit dem Leben.
Auch heute noch gehören böse Mächte, Geister und Hexen zum Alltag, wie schon vor Hunderten von Jahren. In der Shingyanga- oder Mwanza-Region werden beispielsweise noch immer ältere Frauen, die man für Hexen hält, brutal ermordet. In den meisten Fällen werden solche Vorkommnisse gar nicht bei der Polizei angezeigt, sondern die Täter werden von der Dorfgemeinschaft für ihre vermeintlich „gute Tat” auch noch fürstlich entlohnt.
Der Glaube an Hexen und Geister erlaubt es den Menschen, Schicksalsschläge zu erklären und jemand anderen dafür verantwortlich zu machen. Wenn jemand erkrankt, so tragen nicht Bakterien oder fehlende Schutzmaßnahmen daran Schuld, sondern der Nachbar, der mit den bösen Geistern unter einer Decke steckt. Die verdorbene Ernte wird dem Lehrer des Nachbardorfs angehängt. Die rüstige Seniorin von gegenüber muss dafür herhalten, wenn ein junger Mann seinen Job verloren hat (weil er wiederholt alkoholisiert zum Dienst gekommen ist). Überführt werden die angeblichen Täter u. a. durch Träume.
Geistervertreiber und traditionelle Heiler genießen höchstes Ansehen in der Dorfgemeinschaft. Sie brauen fragwürdige Teemischungen (gegen Pechsträhnen), ziehen unsichtbare Kreise um Dörfer (um das
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