Tansania Stefan Loose E-Book Reisef¿hrer
Eindringen von Hexen zu verhindern) und lassen sich Zeremonien einfallen (um die Geister zu vertreiben). Sie besitzen natürlich auch die Gabe, Hexen zu erkennen, weshalb ihnen in den – ungesetzlichen – Hexentötungen eine gewichtige Rolle zufällt. Die Insel Pemba gilt als Hochburg sogenannter Geistervertreiber; von Kenia, Tansania und weither reisen Menschen an, um Schuldige für ihr Schicksal zu finden und diese auszutreiben. Erst 2010 und 2011 hielt ein vermeintlicher Heiler aus der Ngorongoro-Region das Land in Atem, der behauptete, dass er Krankheiten heilen könnte, bei denen die Ärzte versagt haben. Abertausende Menschen reisten unter der Aufbringung ihrer letzten finanziellen und körperlichen Reserven an, um das Wundermedikament, das nur einmal im Leben genommen werden darf, verabreicht zu bekommen. Der hysterische Hype um den Heiler aus Samunge war sogar für Tansania einzigartig.
Die Grenze zu Kräuterheilern – und zu Quacksalbern – ist fließend. Viele Geisteraustreiber verfügen über enormes Wissen in Bezug auf Naturmedizin, doch besteht eine Behandlung meist aus der Kombination von Hokuspokus und Kräutern. Besonders das Volk der Maasai hat sich durch seine äußerst wirkungsvolle Kräuterheilkunde auch international einen Namen gemacht; Pharmakonzerne versuchen bereits, sich ihr Wissen zunutze zu machen. Auf Märkten sieht man oft die kleinen Verkaufsbuden der Maasai, wo diese ihre traditionellen Kräuter (z. B. gegen Malaria, Würmer, verdorbenes Wasser oder Ähnliches) in kleinen Glasbehältern an den Mann oder die Frau bringen.
In Wahrheit ist die Sache mit den Religionen viel komplexer, denn die Grenzen zwischen Religionsgemeinschaften und den afrikanischen Traditionen sind fließend. Kaum ein Tansanier, egal ob katholisch, protestantisch oder moslemisch, glaubt nicht auch an Hexerei, Dämonen, Voodoo, die Ahnen und Naturgeister. Der Alltag einer durchschnittlichen Dorfgemeinschaft ist nach wie vor von Aberglauben, Beschneidungen und Hexenaustreibungen geprägt. Alle Naturreligionen werden mündlich überliefert und sind deshalb gegen moderne Einflüsse kaum resistent. Vielerorts geht dadurch jahrhundertealtes Wissen, z. B. in Naturheil- und Kräuterkunde, verloren – aber kaum jemand (schon gar nicht die Weltreligionen) hat ein Interesse daran, dieses Wissen zu erhalten und niederzuschreiben. Deshalb ist heutzutage der Grat zwischen echter Geistheilerei einerseits und Quacksalberei andererseits sehr schmal. Viele Quacksalber tingeln durch das Land und versprechen der gutgläubigen Bevölkerung Linderung ihrer Not – aus purer Geschäftemacherei. Selbst die Tansanier können echte, erfahrene Heiler nicht immer von effektvoll arbeitenden Quacksalbern unterscheiden.
Der vermutlich fundamentalste und am tiefsten verankerte Glaube ist jener an die Ahnen. Abstammung und Verwandtschaft – auch über Generationen hinweg – spielen bei allen Völkern eine bedeutende Rolle, denn sie definieren die Stellung eines Individuums innerhalb der Gesellschaft. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fließen so ineinander über.
Entsprechend der Altershierarchie (S. 136 ) sind die Älteren – auf Swahili
mzee
(Männer) bzw.
bibi
(Frauen) genannt – zu verehren und zu achten, auch über den Tod hinweg. Die Verstorbenen sind nämlich nicht ausgelöscht, sondern allgegenwärtig – als Geister und geistige Kräfte. Die Ahnen und mythischen Urväter sowie – mütter greifen in die Geschicke der Lebenden ein, weswegen man um ihr Wohlwollen bemüht sein muss. Um sie gnädig zu stimmen, werden Tänze, Rituale und Zeremonien abgehalten. Oft sind auch die Ahnen auf die Lebenden angewiesen, denn durch ihre Opfergaben oder symbolischen Gesten können sie fortbestehen.
Daneben existiert der Glaube an gute und böse Geister oder Dämonen. Die umgebende Natur gilt häufig als beseelt. Bäumen, Quellen, Felsen, Bergen u. a. wird ein heiliges Wesen zugesprochen – wie etwa dem Ol Doinyo Lengai als heiligem Berg der Maasai. Im Zusammenhang mit diesen Vorstellungen stehen häufig strenge Tabus (z. B. dass bestimmte Tiere oder Pflanzen nicht verzehrt sowie bestimmte Orte nicht betreten werden dürfen).
Als Mittler zwischen den Menschen einerseits und den Ahnen, Geistern und der Natur andererseits fungieren zumeist ältere Personen. Damit erklärt sich auch der hohe Status, der den älteren Mitgliedern einer Gemeinschaft zukommt. Manche der Älteren verfügen dazu noch über hervorragende Kenntnisse der Heilkunde,
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