Tante Dimity und das verborgene Grab
hatte mir keine Uhrzeit genannt, wann ich mit ihm rechnen konnte, also kam er, genau genommen, auch nicht zu spät. Sein Fahrrad verfügte über Licht und war mit mehreren Reflektoren versehen, darum war er auch nach Anbruch der Dunkelheit auf der Straße sicher. Es gab keinen Grund zur …
Das Scheinwerferlicht eines Autos fiel durch das Erkerfenster, und ich sprang hoch. Francesca sah mich verwundert an, als ich in den Flur rannte, aber es war mir egal. Für Besucher war es zu spät, aber Polizisten, die böse Nachrichten und verbeulte Fahrräder brachten, konnten zu jeder Zeit auftauchen. Innerlich auf das Schlimmste vorbereitet, öffnete ich die Tür und fiel vor Erleichterung fast in Ohnmacht, als ich sah, dass es Adrian Culver war, der auf dem Plattenweg nä
her kam.
»Es tut mir Leid, Sie um diese Stunde noch zu stören«, sagte er, »aber ich wollte nicht, dass Sie wegen Reginald eine schlaflose Nacht verbringen.«
»Reginald?«, sagte ich verständnislos.
Er hielt mir das Häschen entgegen. »Rainey bekennt sich als Entführerin schuldig. Sie hat mich gebeten, ihn zurückzubringen. Leider wurde ich aufgehalten – zuerst von Mrs Pyne, dann von Mrs Bunting und schließlich noch von Mrs Kitchen.«
Für einen Augenblick vergaß ich, dass ich mir wegen meines Mannes Sorgen machte. »Da sind Sie ja ganz schön durch die Mangel gedreht worden«, sagte ich und nahm ihm Reginald ab.
»Kann ich Ihnen einen Tee anbieten?«
»Es ist schon sehr spät«, sagte er zögernd.
»Unsinn«, sagte ich. »Francesca hat gerade eine frische Kanne …« Ich unterbrach mich, als es mir – zu spät – dämmerte. Es hätte mir früher gedämmert, wenn ich Adrians Äußerem mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Er hatte seine zerknautschten Shorts und den Rucksack im Schulhaus gelassen und seine Arbeitskleidung gegen eine graue Hose vertauscht, dazu trug er blank geputzte Schuhe und ein sauberes, wenn auch leicht zerknittertes weißes Hemd.
»Kommen Sie herein«, sagte ich unsicher. Ich setzte Reg auf den Tisch im Flur und führte Adrian ins Wohnzimmer. »Francesca, sehen Sie mal, wer uns besucht.«
»’n Abend, Dr. Culver.« Francesca nahm ihren Nähkorb und stand auf. »Es ist spät. Ich gehe nach oben.«
Adrian fiel sichtbar in sich zusammen, als sie an uns vorbeiging, straffte sich aber wieder, als sie vor ihm stehen blieb.
»Da fehlt ein Knopf«, sagte sie zu ihm. Es klang wie eine Anklage.
»Wirklich?« Adrian sah verlegen an seinem Hemd hinab.
Francesca war keine Frau, bei der ein leeres Knopfloch lange leer blieb. Mit einem ärgerlichen Seufzer durchsuchte sie ihren Nähkorb. Sie fischte eine eingefädelte Nadel und einen weißen Knopf heraus, dann wandte sie sich wieder Adrian zu. Den anklagenden Blick würde sie in Zukunft sicherlich auch auf Rob und Will richten, wenn sie ohne ihre Turnschuhe vom Spielplatz kämen. »Still halten«, befahl sie.
Ich bin überzeugt, dass Adrian Culver den Atem anhielt, aber sein Herz muss umso lauter geklopft haben. Mit einer Drehung ihres Handgelenks schlüpften drei Finger von Francescas linker Hand unter die Knopfleiste des Hemdes, um den Knopf dann zwischen Daumen und Zeigefinger festzuhalten, mit der rechten nähte sie.
Ihre Bewegungen waren schnell und routiniert, während sie den Kopf gesenkt hielt und der Knoten ihrer dunklen Haare nur wenige Zentimeter von Adrians Lippen entfernt war.
Adrian sah leicht berauscht auf sie hinab. »Ich bewundere Ihr … Medaillon«, sagte er. »Es ist die Miniatur einer Phalera, nicht wahr?«
»Kümmern Sie sich nicht um meine Phalera.«
Francesca schnitt den Faden ab. »Passen Sie lieber auf Ihre Knöpfe auf.«
»Ja – danke, Miss Sciaparelli.« Adrian fummelte noch an seinem Hemd herum, als sie ihren Korb aufnahm und aus dem Zimmer rauschte.
Ich wartete, bis sich die Rauchwolken der unerwiderten Leidenschaft etwas verzogen hatten, dann führte ich Adrian behutsam zur Couch. Als ich ihm einen Becher Tee reichte, legte er seine Hände darum, aber auch die Wärme konnte nichts gegen seinen Liebeskummer ausrichten. Nach meiner Einschätzung war er reif für ein Verhör.
»Es war sehr nett von Ihnen, mir Reg heute Abend noch zu bringen«, fing ich an, »besonders, wo Sie so viel um die Ohren haben. Sie müssen das Schulhaus einrichten, in Scrag End graben, Ihr Museum planen …«
»Ja«, stimmte er zu und nickte geistesabwesend. »Es gibt viel zu tun, aber …« Abrupt richtete er sich auf. »Museum? Was für ein
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