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Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Tante Dimity und der Fremde im Schnee

Titel: Tante Dimity und der Fremde im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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Als er erwähnte, dass er Arbeit und einen Platz zum Übernachten suche, bot ich ihm ein Zimmer und einen Job an.« Eine leichte Röte überzog Annes samtenen Teint, als sie in unverändert gelassenem Tonfall fortfuhr: »Er war furchtbar freundlich, und ich war sehr verletzlich.«
    »Wann war das?«, fragte ich, der gnadenlose Inquisitor.
    »Kit zog vor einem guten Jahr auf die Farm«, antwortete Anne. »Ich konnte ihm kaum etwas bezahlen, aber in einem knappen Jahr hat er alles verwandelt – und mir noch beigebracht, wie ich es selbst hinkriegen kann. Er sagte, er habe die Landwirtschaft von seinem verstorbenen Vater gelernt, dem ein großer Besitz gehörte.«
    »Haben Sie das geglaubt?«, fragte Julian.

    »O ja«, entgegnete Anne. »Es war mir von Anfang an klar, dass Kit keineswegs ein einfacher Wanderarbeiter war, wie sie von Farm zu Farm ziehen. Das hat mich sogar beunruhigt.«
    »Wieso?«, fragte Julian.
    Anne hob die Hand und ließ sie wieder sinken.
    »Kit kleidete sich in Lumpen. Er trug alles, was er besaß, in einer kleinen Tasche mit sich herum. Er aß wie ein Spatz und schuftete wie ein Hund. Aber all das war nur Fassade. Jeder Narr hätte erkannt, dass er aus einer wohlhabenden Familie kam. Man musste ihn nur reden hören, dann wusste man, dass man es mit einem sehr gebildeten Menschen zu tun hatte. Für ein Leben, das aus schlecht bezahlter Schufterei bestand, war er viel zu kultiviert … Aber das war nicht das Einzige, was mich beunruhigte.« Sie richtete sich auf und ging wieder zum Sofa. »Kit hatte einen Tag in der Woche frei. An diesem Tag stand er im Morgengrauen auf und fuhr mit unserem Lkw davon. Er sagte nie, wohin er fuhr, und er sprach auch nie über seine Ausflüge, wenn er zurückkehrte.«
    »Sie sind sicher vor Neugier gestorben«, warf ich ein und hätte mir ob meiner Wortwahl fast auf die Zunge gebissen.
    »Es hat mir in der Tat keine Ruhe gelassen«, sagte Anne. »Eines Tages versteckte ich mich hinten im Lkw.« Erneut errötete sie und schaute auf den Boden, als sei ihr die Aktion noch immer peinlich.
    »Wohin fuhr er?«, fragte Julian.
    Anne hob den Blick. »Zu einem verlassenen Luftwaffenstützpunkt, einem Relikt des Krieges.
    Cambrigeshire ist förmlich übersät davon, aber bis dahin hatte ich diese Orte nur aus der Ferne gesehen.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als sei ihr Mund ausgetrocknet. »Ich kann nicht sagen, dass mir gefiel, was ich sah.«
    Fasziniert beugte ich mich vor. »Was hat Kit dort zu suchen gehabt?«
    Anne sah mich gleichmütig an. »Er stellte sich an die Rollbahn. Und dort blieb er stehen, ohne sich zu bewegen, acht Stunden lang, im strömenden Regen.«
    Ich erschauderte, als ich in das Kaminfeuer blickte und mir die Szene vorstellte, die Anne Somerville gerade beschrieben hatte. Ich sah Kit vor mir, wie er mit weit ausholenden Schritten zwischen zerfallenden Bunkern und lange verlassenen Gefechtsständen umherging. Ich sah, wie er auf dem Rollfeld stand, aus dessen Rissen Unkraut spross. Sein Mantel wehte im Wind, sein langes Haar glänzte nass.

    »In der nächsten Woche tat er genau das Gleiche, und auch in der Woche darauf«, fuhr Anne fort. »Als ich ihm schließlich gestand, dass ich hinter ihm herspioniert hatte, und ihn nach seinen Gründen fragte, wissen Sie, was er mir antwortete?« Die Tränen zitterten auf ihren Wimpern wie Eiskristalle. »Er sagte: ›Ich wache über die Flieger‹.«
    Ich sah Anne Somerville an, dann fiel mein Blick an dem funkelnden Weihnachtsbaum vorbei, durch das Fenster hinaus auf den Innenhof.
    Die dunklen Wolken, die ich am Horizont gesehen hatte, zogen nun über Blackthorne Farm hinweg, und die Sonnenstrahlen, die uns den Tag über begleitet hatten, wurden immer spärlicher. In wenigen Stunden würde sich die Dämmerung auf die weiten Felder herabsenken, und vielleicht würde auch ein weiterer Schneesturm heraufziehen, aber ich machte mir keine Sorgen deswegen. Ich machte mir nur noch Sorgen um Kit.
    Eine Träne kullerte Annes Wange herab. »Kit ist geisteskrank«, sagte sie. »Seine Gedanken werden vom Krieg beherrscht oder vom Tod oder …« Sie hielt inne. »Das hat ihn wahrscheinlich zu mir gezogen. Er hat gespürt, dass der Tod und ich alte Freunde waren.«

    Julian trat an ihre Seite. »Mrs Somerville, wenn Ihnen das alles zu viel wird, müssen Sie nicht weiter darüber reden. Ich glaube, Sie haben uns schon sehr viel erzählt.«
    »Lassen Sie Anne ruhig zu Ende erzählen.«
    Charles stand in der

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