Tante Dimity und der Fremde im Schnee
noch ein, eine Dose Angel Cookies mitzunehmen.
Das Sankt-Benedikt-Heim für obdachlose Männer befand sich in einem heruntergekommenen BacksteinKlotz in einem ebenfalls heruntergekommenen Viertel in East Oxford. Die Gegend war mehr als ein wenig rau. Neben dem Haus erstreckte sich ein leerer Parkplatz, der mit Bierdosen, Glasscherben und weggeworfenen Spritzen übersät war, und die Mauern waren mit Graffiti übersät. Es war kaum zu glauben, dass man in Rufweite einer der besten Universitäten der Welt derartig verwahrloste Straßen vorfinden konnte.
Ich parkte den Mini direkt vor dem Heim und stieg mit klopfendem Herzen aus. Auf dem Weg zur Eingangstür schweifte mein Blick noch einmal über den Parkplatz. Dahinter erhob sich ein Hochhaus mit zerbrochenen Fensterscheiben. Ein kleiner Junge stand hinter einem der Fenster und spähte zu mir hinüber. Ich dankte Gott, dass meine Söhne in Finch aufwuchsen.
Auf mein zaghaftes Klopfen öffnete ein hässlicher, kleinwüchsiger Mann die Tür. Er trug eine grüne Wollmütze und verbreitete einen strengen Geruch.
»Ich möchte zu Julian Bright«, sagte ich vorsichtig.
Der Kleine betrachtete mich von oben bis unten und bedeutete mir mit seiner klauenartigen Hand, ihm zu folgen. Ich presste meine Schultertasche an mich und betrat das Heim.
Ich fühlte mich, als wäre ich in einen der äu ßeren Kreise der Hölle hinabgestiegen. Die Fäulnis, die Sankt Benedikt befallen hatte, ging tief.
Jeder Blick zeigte mir rissiges Linoleum, Wände mit Wasserschäden und abbröckelnden Putz.
Man hatte sich zwar um Sauberkeit bemüht – die Böden waren gewischt, die Fenster geputzt –, aber es hätte weit mehr als einen Besen und einen Schwamm gebraucht, um die unzähligen Schäden in Sankt Benedikt zu beseitigen.
Es roch nach einer Übelkeit verursachenden Mischung aus gekochtem Kohl, feuchter Wolle und Männerschweiß. Der Gestank war so bedrü ckend, dass ich mich beinahe nach dem antiseptischen Geruch des Radcliffe sehnte. Beim Anblick der Bewohner überkam mich der Wunsch nach Scheuklappen. Die Obdachlosen, die unseren Weg den Hauptgang entlang verfolgten, schienen alle Deformationen zu präsentieren, die der Menschheit bekannt waren. Der Anblick eines Mannes mit einer zertrümmerten Nase und Blumenkohlohren brachte mich buchstäblich aus dem Gleichgewicht, sodass ich fast gestolpert wäre. Dafür bedachten mich die Zuschauer mit höhnischem Gelächter, mein Begleiter mit einem verächtlichen Grinsen.
»Sie sind neu hier«, sagte er mit seiner Reibeisenstimme.
»Brandneu«, bestätigte ich.
Er warf mir einen scheelen Blick zu. »Sie halten’s keine Woche hier aus.«
Ich stimmte ihm von ganzem Herzen zu.
Nach dem, was mir wie eine Ewigkeit vorkam, erreichten wir eine Küche. Dort stand Julian, inmitten von Dampfschwaden. Der Priester schrubbte an einer tiefen Doppelspüle in einem Suppentopf herum. Er trug eine weiße Latzschürze, ein schwarzes T-Shirt und schwarze Jeans. Das schwarzgraue Haar klebte ihm feucht im Nacken.
»’ne Dame für Sie, Vater«, stellte mich mein Führer vor.
Julian trocknete sich die Hände an der Schürze ab. »Rupert, das ist nicht einfach nur eine Dame.
Das ist die Dame, die Smitty das Leben gerettet hat.«
»Sie haben Smitty gerettet?« Mit einem Schlag war Rupert wie verwandelt. Er zog sich die grü ne Wollmütze vom Kopf, wobei er ein fettiges Gewirr schwarzer Haare enthüllte, und sagte mit rauer Stimme: »Das ham Sie gut gemacht, Misses. Gott segne Sie dafür. Wenn ich irgendwas für Sie tun kann …«
»Zunächst mal kannst du ihr Auto im Auge behalten«, schlug Julian vor.
»Wird gemacht, Vater.« Rupert setzte sich die Mütze wieder auf und ging durch den Flur zurück.
Julian zog sich die Schürze über den Kopf und warf sie auf die zerkratzte Ablage aus Edelstahl.
Sein T-Shirt klebte am Körper, und ich fragte mich ganz nebenbei, wie oft er wohl trainierte.
»Ich kann kaum glauben, dass Sie hier sind«, sagte er mit einem warmen Lächeln.
»Ich habe versucht, Sie anzurufen, aber …« Ich riss mich vom Anblick seiner gut definierten Muskeln los und erinnerte mich mit aller Strenge daran, dass er ein Mann Gottes und ich eine glücklich verheiratete Mutter von Zwillingen war.
»Wussten Sie, dass Ihr Telefon abgeschaltet ist?«
»Tatsächlich?«, fragte er mit viel Ironie in der Stimme. »Kein Wunder, dass sich der Heilige Vater nicht mehr meldet.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Kommen Sie, wir gehen in
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