Tante Dimity und der Fremde im Schnee
fragen, ob sich Miss Kingsley inzwischen bei Ihnen gemeldet hat.«
Ich dankte ihm im Stillen und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Sie hat soeben angerufen.«
»Nach dem Ausdruck auf deinem Gesicht muss sie frohe Kunde übermittelt haben«, meinte Willis senior.
»Sehr frohe«, sagte ich. »Aber das ist eine lange Geschichte, und Julian sieht aus, als könne er eine Tasse Tee vertragen …«
»Aber bitte keinen Klettenwurzeltee«, unterbrach Willis senior und rümpfte abfällig seine Patriziernase.
»Earl Grey?«, schlug ich vor.
»Ausgezeichnet.« Mit einem Ohr lauschte Willis senior auf das Babyphon. Die Zwillinge krochen in ihren Bettchen herum, Schlafenszeit war vorbei. »Vater Bright«, sagte mein Schwiegervater und wandte sich an den Priester. »Hätten Sie Lust, mir mit meinen Enkeln zu helfen?«
Julian schaute mich kurz an, bevor er antwortete. »Es wäre mir eine Freude.«
Während die beiden Männer nach oben ins Kinderzimmer gingen, stellte ich den Laufstall der Zwillinge in der Küche auf und holte zwei Brotstangen aus dem Schrank, auf denen sie herummümmeln konnten. Dann setzte ich den Kessel auf und stellte einen Schüssel mit Angel Cookies auf den Tisch.
Die Jungens spielten nach ihrem Schläfchen lieber, als dass sie etwas aßen, und Willis senior würde sich mit einer Tasse Tee und einem Keks begnügen, aber ich nahm an, dass Julian mal etwas anderes zu sich nehmen wollte als die »einfachen, nahrhaften Mahlzeiten« in Sankt Benedikt. Daher machte ich ihm ein paar kleine Sandwiches, wärmte die Hühnersuppe auf und stellte einen Korb mit knusprigem, selbst gemachtem Brot und ein Schälchen mit süßer Butter auf den Tisch.
Da im Wohnzimmer der unbenutzte Weihnachtsschmuck herumlag, deckte ich den Tisch in der Küche, und als alles bereit war, rief ich nach den beiden Männern, die jeder mit einem Jungen auf dem Arm herunterkamen. Rob akzeptierte den Laufstall mit seiner üblichen Seelenruhe, aber Will war so fasziniert von Julians Ziegenbärtchen, dass er auf zusätzlichen fünf Minuten im Arm des Priesters bestand, bevor er sich in sein Gefängnis stecken ließ.
Auf Julians Gesicht breitete sich ein seliges Lä cheln aus, als er den Duft der Suppe einsog. Ich stellte eine gefüllte Schüssel vor ihm auf den Tisch und schob den Teller mit den Sandwiches näher an ihn heran. Äußerst zufrieden sah ich dabei zu, wie er drei Teller Suppe verputzte, dazu zwei Drittel der Sandwiches und sämtliche Scheiben Brot mit Butter, während ich die Geschichte von Kits Aufenthalt in der ehemaligen Heathermore-Klinik erzählte.
»Nachdem er dafür gesorgt hat, dass Heathermore geschlossen wurde«, sagte ich schließlich, »tauchte er in Great Gransden auf, wo er die Blackthorne Farm rettete. Von dort aus ging es nach Oxford …«
»… wo er mir das Leben rettete.« Nachdenklich schüttelte Julian den Kopf. »Man sagt, dass Engel unter uns wandeln. Vielleicht liegt gerade einer von ihnen im Radcliffe-Hospital.«
»Skellingthorpe …«, wiederholte Willis senior.
»Du sagtest, die Klinik läge in Skellingthorpe? In Lincolnshire?«
»Das stimmt«, erwiderte ich. »Skellingthorpe ist heute eine Art Vorort von Lincoln. Kit wohnte im Obdachlosenheim von Lincoln, bevor er sich in die Psychiatrie einweisen ließ. Warum?
Sagt dir der Name Skellingthorpe etwas?«
»Vielleicht. Aber das muss ich eben nachprü fen. Wenn ihr mich kurz entschuldigt.« Willis senior stand auf und ging aus der Küche.
Julian nahm sich ein Angel Cookies. »Ich muss Ihnen unbedingt noch sagen, dass dieses Gebäck geradezu himmlisch ist. Sollten Sie sich je entschließen, es auf den Markt zu bringen, könnten Sie ein Vermögen damit machen.«
Ich errötete vor Stolz, aber Ehre, wem Ehre gebührte. »Das Rezept ist von meinem Vater.«
Julian aß den Keks mit zwei Bissen auf und wischte sich die Krümel von den Fingern. »Werden Sie Ihre Eltern an Weihnachten sehen?«
»Nein.« Ich stand auf, um den Tisch abzuräumen. Ich fürchtete das peinliche Schweigen, das in der Regel auf meine nächsten Worte folgte. »Sie sind beide tot. Meine Mutter ist vor ein paar Jahren gestorben, mein Vater starb, als ich noch sehr jung war.«
»Und Sie führen die Familientradition weiter.«
Julian brachte seinen Suppenteller zur Spüle.
»Ich muss sagen, sie ist köstlich.«
Ich sah ihn dankbar an. Ein Thema wie der Tod bringt meistens das Gespräch ins Stocken, aber Julian hatte die unangenehme Situation mit Stil und einem Hauch
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