Tante Dimity und der Fremde im Schnee
schmutziger Haufen – sie verbreiten Krankheiten, sie lügen, und sie sind an ihrem Schicksal selber schuld. Und ihr stimmt mir sicher zu –
Fremden muss man stets misstrauen.«
Peggy Kitchens Nacken wurde puterrot, und die Peacocks rutschten verlegen hin und her. Der alte Mr Farnham lockerte seinen Hemdkragen, als sei es in der Kirche plötzlich unangenehm warm geworden. Sally Pyne schaute schuldbewusst auf das Gebetbuch auf ihrem Schoß.
Der Vikar holte tief Luft und richtete sich zu seiner ganzen beeindruckenden Größe auf. Seine sonst so einschmeichelnde Stimme fuhr wie eine Peitsche auf uns herab: »Gottes eingeborener Sohn hat uns ein Geschenk gemacht, aber unter uns sind einige, die einem kranken und hungrigen Fremden nicht einmal ein freundliches Wort schenken würden.
Und wenn wir die Geburt unseres Herrn feiern, so lasst uns daran denken, dass vor Gott niemand arm ist und niemand ein Fremder.
Lasst uns in dieser Zeit des Frohlockens für die Segnungen dankbar sein, derer wir teilhaftig sind, und lasst uns danach streben, diese Segnungen mit anderen zu teilen.
Lasst uns in den Ärmsten unter uns das Gesicht Jesus’ erkennen.
Im Namens des Vaters …«
Die Gemeinde, mittlerweile hellwach und ernüchtert, hielt gemeinsam den Atem an, als der Pastor mit ernster Miene von der Kanzel stieg.
Als er der Gemeinde das Zeichen gab, sich zu erheben, sprangen wir auf, als stünden die Kirchenbänke in Flammen. Der Zorn des Vikars, der so selten angestachelt wurde, hatte jeden aus seinen selbstzufriedenen Weihnachtsträumen aufgeschreckt. Es war, als sei ein Blitz in die Kirche eingeschlagen und habe das Gewissen entfacht und die Seele erleuchtet.
Es ist Kit, dachte ich benommen. Der Mann schritt durch die Welt so leise wie fallender Schnee, und doch wurde jeder, der ihn traf, tief berührt.
Schwester Willoughby, Anne Somerville, Luke Boswell und nun der Vikar – sie alle waren durch Kit inspiriert worden. Es war, als habe er eine Spur der Güte hinterlassen, der wir alle nun folgten.
Den Sonntag verbrachte ich damit, mich um die Kinder zu kümmern, Plätzchen zu backen und nach Willis senior zu sehen, und die ganze Zeit befand ich mich in einem merkwürdig umnebelten Zustand. Am darauf folgenden Morgen fühlte sich mein Schwiegervater kräftig genug, um nach unten zu kommen, aber ich war bestenfalls eine zerstreute Gefährtin für ihn. Eigentlich hätte ich mir mehr Mühe geben müssen, um ihm den Tag so angenehm wie möglich zu gestalten, aber die Verlockung namens Kit Smith war zu stark.
Ich konnte mich kaum auf etwas anderes konzentrieren.
Warum hatte sich Miss Kingsley noch nicht gemeldet? Sie hatte noch nie so lange gebraucht, um einen Auftrag auszuführen, und die Verzögerung machte mich ganz hektisch. Schließlich hielt ich es nicht länger aus. Nachdem ich die Zwillinge ins Bett gebracht hatte, ging ich ins Arbeitszimmer und rief Julian an. Kaum hatte ich ihn begrüßt, als er sich auch schon nach Miss Kingsley erkundigte.
»Nein …« Ich musste schlucken und umklammerte das Telefon mit beiden Händen. »Ich wollte mich nur über Ihre Aktivitäten informieren. Haben Sie etwas über Kits Vater herausgefunden?«
»Bis jetzt nicht«, antwortete er. »Haben Sie mit den Namen auf der Schriftrolle mehr Glück gehabt?«
Ich gab ihm die Informationen weiter, die ich von Emma erhalten hatte, sowie die Details, die mir Luke Boswell genannt hatte. Als ich die Zahl der Toten der Bomberstaffel erwähnte, stieß Julian einen leisen Pfiff aus.
»60000 von 125000«, sagte er. »Ich hatte keine Ahnung, dass die Verlustrate so hoch war.
Sie werden noch zur Expertin auf dem Gebiet.«
Er zögerte. »Ich hoffe, das alles wirft keinen dunklen Schatten auf ihre Weihnachtsvorbereitungen.«
»Es geht schon.« Ich wischte die Träne weg, die mir über die Wange rollte, ohne dass ich es verhindern konnte.
Nach einer Weile sagte Julian leise: »Was ist los, Lori?«
»Nichts.« Ich schniefte. »Mein Ehemann weilt in Boston, mein Schwiegervater ist krank, der Weihnachtsbaum steht noch immer im Schuppen, und es sind nur noch wenige Tage bis Weihnachten.« Ich stützte mich mit dem Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und legte die Hand auf die Stirn. »Aber das alles spielt keine Rolle. Ich kann nur noch an Kit denken.«
»Ich bin in einer knappen Stunde bei Ihnen«, sagte Julian.
»Julian, Sie müssen mir nicht …«, begann ich, aber er hatte bereits aufgelegt. Kaum hatte ich ebenfalls aufgelegt, klingelte
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