Tante Dimity und der unbekannte Moerder
Annelise. Weil sie gerade im Haus war, schloss ich die Bürotür hinter mir, bevor ich das Tagebuch aus seinem Regal zog und mich damit in einem der beiden hohen Ledersessel zu beiden Seiten des Kamins niederließ.
»Dimity«, sagte ich, während ich das Buch aufschlug, »bist du da?«
Wo sollte ich sonst sein? Ich warte schon die ganze Zeit darauf , dich willkommen zu heißen .
Schuldgefühle nagten an mir, während ich verfolgte, wie die vertrauten königsblauen Schriftzüge mit ihren Kringeln und Häkchen die Seite füllten.
»Das tut mir leid«, murmelte ich. »Ich hätte früher kommen sollen.«
Es gibt wirklich keinen Grund , dich zu entschuldigen , Lori .
»O doch«, entgegnete ich. »Es ist was passiert.
Etwas Unglaubliches.«
Sag’s mir .
»Es hat einen Mord gegeben. In Finch.«
Eine lange Pause trat ein. Schließlich tauchten drei Wörter vor mir auf, die so groß waren, dass sie die halbe Seite beanspruchten. MORD? IN
FINCH?
Eine verständnisvollere Seele als Dimity ließ sich kaum denken, aber selbst sie war ein bisschen eingeschnappt, weil es eineinhalb Tage gedauert hatte, ehe ich sie vom Fincher Verbrechen des Jahrhunderts in Kenntnis gesetzt hatte. Nachdem ich meinen Bericht beendet hatte, verschmierte sie die Seite zwar nicht mehr mit Klecksen wie am Anfang, aber die Art und Weise, wie sie den Querstrich über ihre T’s zog, verriet mir, dass sie immer noch leicht verstimmt war.
Ich glaube keine Sekunde lang , dass am fraglichen Morgen niemand etwas Ungewöhnliches bemerkt hat . Irgendjemand muss etwas gesehen haben .
»Meine Worte«, sagte ich. »Aber keiner hat sich bei der Polizei gemeldet.« Ich beugte mich näher über das Buch. »Wenn du mich fragst, haben sich die Dorfbewohner zu einem Kartell des Schweigens verschworen.«
Es hat in Finch schon viele Verschwörungen gegeben , meine Liebe , aber keine davon hat sich je durch Schweigen ausgezeichnet . Im Gegenteil !
»Warum hat dann keiner was gesagt?«, wollte ich wissen.
Den Behörden gegenüber mögen sie vielleicht stumm sein , aber ich habe keinen Zweifel daran , dass sie untereinander gackern wie die Hühner .
»Und was, glaubst du, sagen sie?«
Meine Vermutung – und sie beruht auf langer Erfahrung – ist folgende : Die ehrbaren Bürger von Finch wollen nicht , dass der Mörder gestellt wird . In ihren Augen hat eine verachtenswerte Frau bekommen , was sie verdient . Sie wissen , wer der Schuldige ist , und haben sich darauf verständigt , die Reihen zu schließen , um damit einen der Ihren zu schützen .
Wie um mich zu beruhigen, legte ich mir die Handfläche auf die Stirn. Von Dimitys deutlichen Worten war mir regelrecht schwindlig. Dabei hatte sie nichts anderes getan, als meine eigenen Vermutungen beim Namen zu nennen. Doch das änderte nichts daran, dass dieser Verdacht ein unbehagliches Gefühl in mir auslöste. So ganz konnte ich mich nicht mit der Vorstellung abfinden, dass meine gesetzestreuen Nachbarn sich zu Richtern und Henkern aufspielen sollten.
Nun , meine Liebe , was möchtest du jetzt in dieser Angelegenheit unternehmen?
Dimitys Frage erwischte mich auf dem falschen Fuß. »Was soll ich denn schon unternehmen?«, fragte ich perplex zurück. »Es ist die Aufgabe der Polizei, Verbrecher zu fangen.«
Wie denn? Wenn Mr Fox Recht hat , hat sie keinerlei Spuren . Ich fürchte , ohne unsere Hilfe wird es der Polizei nicht gelingen , den Übeltäter zu stellen .
»Wenn du wissen willst, wer Mrs Hooper umgebracht hat«, erwiderte ich mit einer gewissen Logik, »warum … fragst du sie dann nicht einfach? Sie ist schließlich tot, oder? Immerhin das habt ihr gemeinsam.«
Meine Liebe , bei aller gebührenden Bescheidenheit bezweifle ich doch sehr stark , dass Mrs Hooper und ich uns am selben Ort aufhalten .
Eine Frau , die Kit so grausam behandelt , wird die Ewigkeit mit ziemlicher Sicherheit an einem Ort verbringen , mit dem ich zum Glück nicht das Geringste zu tun habe . Es tut mir leid , Lori , aber um den oder die Unbekannte zu ermitteln , müssen wir auf irdische Methoden zurückgreifen .
Meiner Erfahrung nach ist Mord der Schlusspunkt einer ganzen Abfolge von Geschehnissen , die sich offen oder versteckt abgespielt haben .
Um sie zu untersuchen , musst du deine Truppen um dich versammeln .
»Habe ich Truppen?«, fragte ich zweifelnd.
Du hast Emma Harris . Sichere dir ihre Hilfe .
Sie ist ein kluger Kopf und lässt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen .
Ich teilte Tante Dimitys
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