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Tante Dimity und der unheimliche Sturm

Tante Dimity und der unheimliche Sturm

Titel: Tante Dimity und der unheimliche Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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Standardausrüstung eines cleveren Rucksacktouristen gehöre, wozu ich wohl nicht zählte. Außerdem musterte Wendy mich, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank.
    »Warum verbarrikadieren Sie sich in der Bibliothek?«, fragte sie in dem behutsamen Ton, den man normalerweise Geisteskranken entgegenbringt, die für sich und ihre Umgebung eine Gefahr darstellen.
    »Catchpole randaliert herum«, erklärte ich ihr. »Haben Sie den Schuss nicht gehört?«
    Wendy rollte die Augen, um dann die Hand nach dem Grubenlicht auszustrecken und es auszuknipsen. »Das war kein Schuss. Es war eine Truhe voller Bettwäsche.«
    »Was?«, fragte ich und blinzelte verwirrt.
    »Eine Truhe mit Bettwäsche.« Wendy schob den Sessel von der Tür weg und ging zum Kamin, um sich die Hände zu wärmen. »In meinem Zimmer war es kalt, also habe ich mich auf die Suche nach einer zusätzlichen Decke gemacht.
    Am Ende des Flurs sah ich eine große Holztruhe und warf einen Blick hinein. Dabei ist mir der Deckel aus der Hand gerutscht und krachend zugefallen. Das war alles.« Sie warf mir über die Schulter einen Blick zu. »Sie können den Schürhaken getrost weglegen. Ich glaube nicht, dass Sie ihn brauchen werden – es sei denn, Sie haben Angst vor Wäschetruhen.«
    Ihre humorvolle Einlage bedachte ich mit einem dünnen Lächeln und verstaute den Schürhaken wieder in dem Gestell neben dem Kamin.
    Wendy schien keine Mühen zu scheuen, mich als den Prototyp einer hysterischen Frau erscheinen zu lassen.
    »Sie können mich ruhig eine Heulsuse nennen«, sagte ich, »aber wenn ich etwas höre, das wie ein Schuss klingt, dann werde ich zugegebenermaßen leicht nervös. Vor Waffen habe ich einen gesunden Respekt.«
    »Das habe ich auch«, erwiderte Wendy. »Aber Angst habe ich vor ihnen nicht.«
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sagte mit unverhohlener Ironie: »Dann hat es Sie wohl vollkommen kaltgelassen, als Catchpole mit seiner Flinte vor unserer Nase herumgefuchtelt hat.«
    »In der Tat.« Wendy drehte sich mit dem Rü cken zum Kamin. »Er hätte uns gar nicht erschießen können, auch wenn die Flinte geladen gewesen wäre. Die Flinte war nämlich gesichert.«
    Ich ließ die Arme matt an die Seiten sinken.
    Wendy sandte Satelliten in die Erdumlaufbahn, strickte ihre Pullover selbst und entwarf ihre Rucksäcke. Sie hatte in weniger Zeit herausgefunden, wie man einen komplizierten viktorianischen Herd in Gang bringt, als ich brauchte, um mit meiner Mikrowelle klarzukommen. Waren ihrer Tüchtigkeit eigentlich keine Grenzen gesetzt? »Sie kennen sich also auch mit Flinten aus?«, fragte ich matt.
    »Mein Vater war ein Scharfschütze«, erwiderte sie mit irritierender Beiläufigkeit. »Wir hatten immer irgendwelche Waffen im Haus. Er hat mir das Schießen beigebracht.«
    Beunruhigt sah ich sie an. »Sie tragen nicht zufällig eine Waffe im Rucksack mit sich herum?«
    »In England? Nicht wirklich.« Wendy bückte sich und hob das in Saffianleder gebundene Album vom Boden auf. Sie blätterte durch ein paar Seiten, um es dann auf den Tisch neben den Sessel zu legen, in dem Jamie gesessen hatte, so als wäre es von keinerlei Interesse für sie. »Worüber haben Sie und Jamie sich unterhalten? Das Leben im Allgemeinen, das Universum und so weiter?«
    Angesichts des spöttischen Tons in ihrer Stimme musste ich meine Zunge im Zaum halten, und ich zwang mich zu einer zivilisierten Antwort:
    »Mehr oder weniger. Zum Schluss haben wir allerdings über Miss DeClerke gesprochen – und versucht, uns vorzustellen, was ihr widerfuhr.«

    Wendy ging ein paar Schritte vom Kaminfeuer weg und setzte sich in Jamies Sessel, sodass sie mich direkt ansah. »Und sind Sie zu irgendeinem Schluss gekommen?«
    »Nein.« Irritiert durch Wendys insistierende Art, wandte ich mich dem Feuer zu. Ich kam mir vor, als würde ich von einem Zyklopen befragt.
    »Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass sie sich in einen der amerikanischen Offiziere verliebte und von ihm zurückgewiesen wurde. Nachdem sie gerade erst ihren Vater und ihren Verlobten verloren hatte, war das zu viel für sie, und sie konnte einen weiteren Schlag nicht verkraften.
    Also hat sie allmählich den Verstand verloren und verbrachte den Rest ihres Lebens damit, dem Kerl Briefe zu schreiben, in denen sie ihn mit Vorwürfen überhäufte oder aber versuchte, ihn umzustimmen oder …« – ich sank tiefer in meinen Sessel –,»… vielleicht hat sie ihm auch Liebesbriefe geschrieben. Wer

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