Tante Dimity und der unheimliche Sturm
sozusagen eingeladen, uns Gesellschaft zu leisten«, gab ich kleinlaut zu.
»Er tat mir leid. Schließlich wusste ich ja nicht, was ihr zwei im Schilde führt.«
»Der hätte uns gerade noch gefehlt«, murmelte Wendy. »Als oberster Reiseleiter an Bord unseres Kreuzfahrtschiffs.«
»Wenn das so ist, dann nehme ich mir am besten das Erdgeschoss vor.«
»Um Catchpole davon abzuhalten, uns zu überraschen?«, fragte ich.
Jamie nickte. »Wenn er uns morgen mit seinem Besuch beehrt, werde ich ihm erklären, dass ihr zwei zerbrechlichen Geschöpfe den Tag im Bett zu verbringen geruht.«
»Aber auf mein Frühstück werde ich nicht verzichten«, grummelte Wendy.
»Ich werde es dir auf einem Tablett in den Turm bringen«, schlug Jamie vor. Nachdenklich strich er sich über seinen Bart, dann schnalzte er mit den Fingern. »Noch besser – wenn Catchpole auftaucht, werde ich ihn bitten, euch beiden das Frühstück zu bringen. Auf diese Weise kann er sich selbst davon überzeugen, wie schwach und gebrechlich ihr seid.«
In der Tat begann ich mich allmählich ziemlich schwach und gebrechlich zu fühlen. Und als die Ebenholzuhr zwei Mal schlug, legte sich das Gewicht der vergangenen zwei Tage schwer auf mich. Innerhalb der letzten achtundvierzig Stunden hatte ich mich durch einen wütenden Schneesturm gekämpft, mich Aug in Aug mit einem Geisteskranken mit einer Flinte im Anschlag gesehen, mit Müh und Not mehreren Verführungsversuchen widerstanden sowie das Gegenteil eines Diebstahls aufgedeckt. Wenn mein Aufenthalt mit weiteren Herausforderungen angereichert würde, dann würde ich reif für eine Therapie sein. Doch im Moment war ich einfach nur todmüde. Am liebsten wäre ich Jamie um den Hals gefallen, als er vorschlug, dass wir uns zu Bett begeben sollten.
Wendy stimmte dem Vorschlag ebenfalls zu, indem sie meinte, wenn sie nicht bald ein bisschen Schlaf bekäme, wäre ihr Blick zu verschwommen, um die Schmuckschachtel zu erkennen, selbst wenn sie darüber stolperte. Während ich die Steppdecke auf Jamies Bett zurücklegte, nahm sie ihre Grubenlampe und trat in den Flur hinaus.
Als sie gegangen war, drehte ich mich zu Jamie um, der die Grundrisse in einer Schublade des Schreibtisches verstaute, und sah ihn lange und unerbittlich an. Er musste meinen Blick im Nacken gespürt haben, denn er ließ die Pläne halb verstaut liegen und wandte sich mir zu.
»Du hast gar nicht geschlafen, als ich an deine Tür klopfte«, sagte ich ruhig. »Du hast dir die Grundrisse angeschaut. Aber es sollte so aussehen, als hättest du geschlafen, also hast du mich vor der Tür warten lassen, während du dich rasch deiner Kleider entledigt, sie auf einen Haufen geworfen und dein Bettzeug zerwühlt hast.
Richtig?«
Er zog den Kopf ein. »Tut mir leid.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
Ich schenkte ihm ein reumütiges Lächeln.
»Schließlich bin ich es, die eine falsche Vermutung nach der anderen angestellt hat. Da ist es tröstlich, wenn man wenigstens einmal richtig liegt.« Ich ging auf die Tür zu. »Schlaf gut, Jamie.«
»Warte.« Er war in zwei Schritten bei mir und legte mir seine Hand auf den Arm. »Ich möchte dich um einen ganz persönlichen Gefallen bitten.
Ich weiß zwar, dass ich kein Recht habe …«
»Frag einfach«, unterbrach ich ihn.
»Bitte versuch, nicht zu hart mit Wendy ins Gericht zu gehen«, sagte er. »Sie hat ihren Vater so sehr geliebt, und es war so schwer für sie, zu
… zu …« Seine Stimme erstarb, während seine Hand von meinem Arm glitt, und es schien, als würde er sich von mir entfernen und sich in seine ganz eigene Welt zurückziehen. »Wenn man seinen Vater nur als guten, ehrenwerten Mann kennengelernt hat, ist es schwer, plötzlich zu erfahren, dass er ein mit Fehlern behafteter Mensch war. Aber trotzdem kann man nicht aufhören, ihn zu lieben. Was auch immer er getan hat, man kann nichts dagegen tun, ihn zu lieben.« Einen Moment lang starrte er ins Leere, dann blinzelte er und war wieder bei mir. Er lächelte. »Wendy ist eine kluge Frau. Sie wird schon damit klarkommen. In der Zwischenzeit sei bitte nicht zu hart mit ihr.«
»Da ich ein extrem fehlerhafter Mensch bin, kann ich in dieser Beziehung leider keine Versprechungen machen«, erwiderte ich. »Aber ich werde mein Bestes versuchen, Jamie.«
»Gute Nacht.«
Ich nahm meine Petroleumlampe vom Kaminsims und ging in mein Zimmer zurück. Das Feuer war fast ausgegangen, und ich legte Kohlen nach, ehe ich mir das weiße
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