Tante Dimity und die unheilvolle Insel
»Was haben wir denn da?«
»Einen verborgenen Schatz«, sagte ich. »Was sonst?«
»Dann wollen wir doch mal nachsehen.« Er band seine Taschenlampe los und reichte sie mir.
»Bitte ruhig halten.«
Als Nächstes drückte er mit den Daumen auf die Schnappverschlüsse. Sie sprangen auf, und mit einiger Mühe hob er den Deckel an.
»Oh … Mann«, ächzte ich, als ich wieder Worte fand.
Die Kiste war bis zum Rand mit durchsichti-gen Gefrierbeuteln gefüllt, und jeder enthielt ge-bündelte britische Geldnoten. Hauptsächlich Hundertpfundscheine, aber daneben auch Bündel mit Fünfzigern, Zwanzigern und vereinzelt Zehn-pfundnoten – vielleicht, um das Ganze etwas auf-zulockern. Damian wühlte sich bis zum Boden durch, aber in der Kiste war nichts als Geld.
»Wie ich Ihnen gestern gesagt habe, Lori: Rauschgiftschmuggel ist ein lukratives Geschäft.«
Er strich mit der Hand über das Geld. »Das muss mindestens eine halbe Million Pfund sein.«
»Eine M-M-Million Dollar!«, stammelte ich ziemlich kurzatmig. »Das ist eine Menge Bargeld, die sie da rumliegen haben.«
»Drogendealer wickeln ihre Geschäfte immer in bar ab, was für die, die das Geld kassieren, ganz schön anstrengend sein kann. Beim Finanzamt würden ja gleich sämtliche Alarmsirenen schrillen, wenn derart hohe Beträge plötzlich auf einem Privatkonto eingingen.« Damian deutete auf Gummistreifen, die die unteren Kanten des Deckels und die oberen Ränder der Truhe lü-
ckenlos einfassten. »Der Gummibelag und die Schnappverschlüsse sorgen zusammen für eine luftdichte Versiegelung. Das ist auch der Grund, warum sich die Kiste so schwer öffnen ließ. Ich könnte mir vorstellen, dass so das Eindringen von Feuchtigkeit verhindert werden soll. Sicher von derselben Firma maßgefertigt, die für sie auch die Frachtcontainer gebaut hat.«
Damian brauchte mir nicht zu erklären, wen er mit »sie« meinte. Niemand außer den Bewohnern der Insel hätte eine verborgene Höhle als Banktresor benutzen können.
»Bitte beachten Sie auch das auffällige Fehlen von Schlössern«, fügte er hinzu.
Ich grinste. »Ich nehme nicht an, dass sich allzu oft Einbrecher hierher verirren.«
Damian ging zur nächsten Kiste. »Lassen Sie uns auch den Rest aufmachen«, schlug er vor.
Ich folgte ihm mit dem Licht – das ich nicht unbedingt ruhig halten konnte –, während er von Kiste zu Kiste ging, die Verschlüsse aufschnap-pen ließ und die Deckel anhob. Zehn waren bis zum Rand mit Bargeld vollgestopft, aber die elfte erfüllte meine Prophezeiung.
Denn in ihr fanden wir den Schatz.
Eigentlich war sie nur halb voll, aber diese Hälfte genügte, um mir die Augen fast aus den Höhlen springen zu lassen. Kelche, Münzen, Kerzenständer und eine Unmenge an Schmuck lagen kunterbunt als golden und silbern glänzender Haufen übereinander. Ein Teil der Gegenstände war Emailleschmuck, manche Stücke waren mit Edelsteinen besetzt, wieder andere mit kunstvoll ineinander verwobenen Gravuren von Vögeln, wilden Tieren oder Blumen verziert. Jedes Teil war vorzüglich gearbeitet und schien eine einzigartige Antiquität zu sein. Ich sank neben Damian auf die Knie und hielt die Hände über den schimmernden Schatz, halb in der Erwartung, mich an seinem Glanz wärmen zu können.
»Sir Percy hatte absolut recht, als er die Leute hier als einfallsreich bezeichnete«, bemerkte Damian sarkastisch. »Warum nur Rauschgift schmuggeln, wenn es auch antiken Schmuck gibt?
Nichts anfassen!«, warnte er und packte mich am Handgelenk, als ich nach dem funkelnden Kelch griff. »Wir wollen doch nicht mehr Fingerabdrü-
cke als unbedingt nötig hinterlassen.«
Zutiefst enttäuscht sah ich zu, wie er den Deckel wieder zuklappte, und folgte ihm nur widerstrebend, als er auch die anderen Truhen eine nach der anderen versiegelte.
»Tja«, seufzte ich traurig, »jetzt haben wir die Beweise, die Sie wollten.«
Er nickte. »Allerdings. Ich werde mit Sir Percy sprechen, sobald wir wieder auf Dundrillin sind.
Es ist dann seine Sache, die Behörden einzuschal-ten.« Er schloss die letzte Kiste und richtete sich auf. »Am besten hinterlassen wir alles so, wie wir es vorgefunden haben. Kommen Sie mit. Wir müssen die Mauer wiederherstellen.«
Gemeinsam bauten wir den von Menschenhand geschaffenen Steinschlag wieder auf und kehrten in die Mönchshöhle zurück. Dort angekommen, hatten wir einander plötzlich nichts mehr zu sagen. Mich hatte diese Entdeckung deprimiert, weil sie für Percy mit
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