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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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was sie tatsächlich waren oder gewesen waren (Diebe, Messerstecher, Dirnen), sondern als subversive und zersetzerische Elemente für viele Tage in Polizeiwachen festhielt und Pater Seferino vor ein Militärgericht stellte, wo man ihn beschuldigte, im Schutz der Soutane einen Brückenkopf des Kommunismus aufrichten zu wollen (auf Betreiben seiner Gönnerin, der Millionärin Mayte Unzâtegui, wurde er freigesprochen), war das Experiment der archaischen christlichen Kommune bereits zum Untergang verurteilt.
    Verurteilt von der Kurie (ernste Verwarnung Nummer 233), die das ganze für verdächtig in der Theorie und für unvernünftig in der Praxis hielt (die Fakten, ach, gaben ihr Recht), aber zum Scheitern verurteilt vor allem durch die Veranlagung der Männer und Frauen von Mendocita, die eindeutig allergisch auf das Gemeinschaftsleben reagierten. Problem Nummer eins war der Geschlechtsverkehr. Begünstigt von der Dunkelheit, ergaben sich in den kollektiven Schlafsälen, in denen Matratze an Matratze lag, die feurigsten Berührungen, Samenergüsse durch Streicheln, Reiben, direkte Schändungen, Sodomie, Schwangerschaften; als Folge davon vervielfältigten sich die Verbrechen aus Eifersucht. Problem Nummer zwei war der Diebstahl. Das Zusammenleben steigerte das Bedürfnis nach Besitz bis zum Irrsinn, statt es aufzulösen. Die Leute stahlen sich gegenseitig sogar ihren faulen Atem. Das enge Zusammenleben machte die Menschen von Mendocita zu Todfeinden, statt sie zu verbrüdern. In dieser Zeit der Unordnung und der Irritation geschah es, daß die Sozialarbeiterin (Mayte Unzâtegui?) erklärte, sie sei schwanger, und Wachtmeister Lituma erkannte die Vaterschaft des Kindes an. Mit Tränen in den Augen legalisierte Pater Seferino diese Verbindung, die aufgrund seiner soziokatholischen Erfindung entstanden war. (Es heißt, daß er seitdem in den Nächten herumschluchzte und Klagelieder an den Mond sang.)
    Doch beinahe unmittelbar danach mußte er einer schlimmeren Katastrophe begegnen als der, die Baskin zu verlieren, die er niemals besessen hatte, nämlich der Ankunft eines Konkurrenten in Mendocita, des evangelischen Pfarrers Don Sebastian Bergua. Dieser war ein noch junger Mann von sportlichem Aussehen mit starkem Bizeps, der, kaum daß er angekommen war, überall bekannt machte, er habe sich vorgenommen, in einer Frist von sechs Monaten ganz Mendocita für die wahre Religion – die reformierte – zu gewinnen, den katholischen Priester und seine drei Gehilfen eingeschlossen. Don Sebastian (der, bevor er Pfarrer wurde, ein millionenschwerer Gynäkologe gewesen war?) verfügte über die Mittel, die Bürger zu beeindrucken. Er baute sich ein Ziegelhäuschen, wobei er den Leuten gutbezahlte Arbeit anbot, und begann mit den sogenannten religiösen Frühstücken, zu denen er kostenlos diejenigen einlud, die seinen Bibelvorträgen zuhören und bestimmte Lieder auswendig lernen wollten. Von der Wortgewalt der Baritonstimme oder von Milchkaffee und Brot mit Chicharrôn verführt, desertierten die Menschen von Mendocita aus der katholischen Lehmhütte in den evangelischen Ziegelbau.
    Pater Seferino griff natürlich auf die bewaffnete Predigt zurück. Er forderte Don Sebastian Bergua auf, im Faustkampf zu entscheiden, wer der wirkliche Diener Gottes sei. Geschwächt durch das Übermaß an Übungen zugunsten Onans, die es ihm erlaubt hatten, den Provokationen des Teufels zu widerstehen, fiel der Mann aus Chirimoyo vom zweiten Faustschlag Don Sebastian Berguas, der zwanzig Jahre lang eine Stunde täglich Korbball und Boxen betrieben hatte (Sportclub Remigius in San Isidro?), k.o. zu Boden. Nicht die Tatsache, daß er zwei Schneidezähne verlor und die Nase eingedrückt bekam, ließ Pater Seferino verzweifeln, sondern die Demütigung, mit den eigenen Waffen geschlagen worden zu sein und feststellen zu müssen, daß er jeden Tag mehr Gläubige an seinen Gegner verlor. Aber – die Verwegenen, die angesichts der Gefahr wachsen und bei großem Übel schlimmeren Ausweg suchen – eines Tages brachte der Mann aus Chirimoyo heimlich ein paar Dosen mit einer Flüssigkeit, die er vor den Blicken der Neugierigen verbarg (aber jeder empfindliche Geruchssinn hätte sie sofort als Kerosin erkannt), in seine Adobehütte. In Begleitung seines getreuen Lituma verschloß er in jener Nacht, als alle schliefen, von außen Türen und Fenster des Ziegelhauses mit dicken Brettern und starken Nägeln. Don Sebastian schlief den Schlaf der Gerechten,

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