Tante Julia und der Kunstschreiber
mochten uns sehr, und ich wußte, sie würde in jedem Fall auf meiner Seite stehen. »Klar, wenn du mich bittest, helfe ich dir, auch wenn es darum geht, Dummheiten zu machen – obwohl man mich mit dir umbringen wird«, sagte sie schließlich. »Übrigens, hast du an die Reaktion der Familie gedacht, wenn du wirklich heiratest?« Fröhlich spielten wir eine Weile durch, was die Onkel, Tanten, die Vettern und Cousinen sagen würden, wenn sie diese Nachricht erhielten. Tante Hortensia würde weinen, Tante Jesus würde in die Kirche gehen, Onkel Javier würde seinen klassischen Ausruf tun (welche Schande!), und der Benjamin der Vettern, Jaimito, der erst drei Jahre alt war und lispelte, würde fragen, Mama, was ist heiraten? Schließlich lachten wir schallend und nervös, so daß die Kellner näherkamen, um zu hören, worüber wir lachten. Als wir uns beruhigt hatten, war Nancy einverstanden, unser Spion zu sein und uns alle Vorhaben und Pläne der Familie mitzuteilen. Ich wußte nicht, wieviele Tage mich die Vorbereitungen kosten würden, und mußte genau wissen, was die Verwandten ausheckten. Andererseits sollte sie die Verbindung zu Julia halten und gelegentlich mit ihr Spazierengehen, damit ich sie sehen konnte.
»Okay, okay«, nickte Nancy. »Ich spiele die gute Fee. Aber, wenn ich es eines Tages nötig habe, tut ihr hoffentlich dasselbe für mich.«
Als wir schon auf der Straße waren und zu ihrem Haus gingen, tippte meine Cousine sich an den Kopf: »Was du für ein Glück hast«, fiel ihr ein, »ich kann dir genau das besorgen, was du brauchst. Ein Apartment in einem Haus in der Calle Porta. Ein Zimmer, eine kleine Küche und ein Bad. Alles sehr hübsch, wie aus der Spielzeugkiste, und es kostet kaum fünfhundert im Monat.«
Seit ein paar Tagen stehe es leer, und eine Freundin von ihr vermiete es; sie könne mit ihr sprechen. Ich bewunderte den Sinn meiner Cousine für das Praktische. In diesem Augenblick, in dem ich in die romantische Stratosphäre des Problems abschweifte, konnte sie an so irdische Dinge wie eine Wohnung denken. Außerdem lagen 50080! im Bereich meiner Möglichkeiten. Jetzt mußte ich nur noch Geld verdienen »für den Luxus« (wie Großväterchen zu sagen pflegte). Ohne zweimal nachzudenken, bat ich sie, ihrer Freundin zu sagen, sie habe einen Mieter gefunden.
Nachdem ich mich von Nancy verabschiedet hatte, lief ich zu Javiers Pension in der Avenida z8 de Julio. Aber das Haus war dunkel, und ich traute mich nicht, die übel launige Wirtin zu wecken. Ich war sehr enttäuscht, denn ich hatte das Bedürfnis, meinem besten Freund von meinem großen Plan zu erzählen und seinen Rat zu hören. In dieser Nacht schlief ich unruhig und hatte Albträume. Ich frühstückte im Morgengrauen mit dem Großvater, der immer bei Tagesanbruch aufstand, und lief zur Pension. Ich traf Javier, als er gerade fortgehen wollte. Wir gingen zur Avenida Larco, um das Colectivo nach Lima zu nehmen. Am Abend vorher hatte Javier sich zum ersten Mal in seinem Leben ein ganzes Kapitel eines Hörspiels von Pedro Camacho angehört, zusammen mit seiner Wirtin und den anderen Pensionsgästen, und er war tief beeindruckt. »Dein Kumpel Camacho ist tatsächlich zu allem fähig«, sagte er. »Weißt du, was letzte Nacht passiert ist? Eine alte Pension in Lima, eine ärmliche heruntergekommene Familie aus der Sierra. Sie sitzen beim Mittagessen, sprechen miteinander, und plötzlich ein Erdbeben. Das Scheibenklirren und Türensplittern und das Geschrei waren so gut gemacht, daß wir aufsprangen, die Frau Gracia lief sogar in den Garten …« Ich stellte mir den genialen Batân vor, wie er schnarchte, um die tiefen Echos aus der Erde nachzumachen, wie er mit Hilfe von Trommeln, Schellen oder Glaskugeln, die er ganz dicht am Mikrophon aneinan derrieb, das Tanzen der Gebäude und der Häuser darstellte und mit den Füßen Nüsse zerknackte oder Steine aneinan derstieß, damit es sich so anhöre wie das Krachen von Dächern und Wänden, wenn sie auseinanderbrechen, von Treppen, wenn sie einstürzen und niederdonnern, während Josefina, Luciano und die anderen Schauspieler unter dem strengen Blick von Pedro Camacho erschrocken beteten, vor Schmerz aufheulten und um Hilfe flehten. »Aber das Erdbeben war noch gar nichts«, unterbrach mich Javier, als ich ihm von den Kunststücken Batâns erzählte. »Das Beste war, die Pension stürzt ein, und alle werden verschüttet. Nicht ein einziger rettet sich, auch wenn das kaum zu glauben ist.
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