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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ein Typ, der alle Figuren seiner Geschichte in einem Erdbeben umbringt, verdient wirklich Respekt.« Wir waren an der Haltestelle der Colectivos angekommen, und ich konnte es nicht mehr aushaken. Ich erzählte ihm in ein paar Worten, was am Vorabend geschehen war, und von meinem großen Entschluß. Er tat so, als wunderte es ihn nicht. »Auch dir ist eine Menge zuzutrauen«, sagte er und wiegte mitleidig den Kopf, und einen Augenblick später: »Du bist ganz sicher, daß du heiraten willst?«
    »Ich bin nie in meinem Leben einer Sache so sicher gewesen«, schwor ich. In diesem Augenblick stimmte es auch schon. Am Abend vorher, als ich Tante Julia gebeten hatte, mich zu heiraten, hatte ich noch das Gefühl von etwas Unüberlegtem gehabt, von einem leeren Satz, beinahe einem Scherz. Aber jetzt, nachdem ich mit Nancy gesprochen hatte, spürte ich eine große Sicherheit. Es kam mir vor, als teilte ich ihm eine unwiderrufliche, lange überdachte Entscheidung mit. »Sicher ist, daß deine Dummheiten mich noch ins Gefängnis bringen«, meinte Javier resigniert, als wir mit dem Colectivo auf der Höhe der Avenida Javier Prado waren. »Es bleibt dir wenig Zeit. Wenn dein Onkel und deine Tante Julia gebeten haben fortzugehen, kann sie nicht mehr lange bei ihnen bleiben, und die Dinge müssen bereits erledigt sein, wenn der Butzemann kommt. Denn wenn dein Vater erst einmal hier ist, wird es schwierig.«
    Wir schwiegen eine Weile, während der Wagen an jeder Ecke der Avenida Arequipa hielt, Passagiere aussteigen ließ und neue aufnahm. Als wir am Colegio Raimundo vorbeifuhren, begann Javier wieder zu sprechen, jetzt vollkommen von dem Problem besessen: »Du wirst Geld brauchen, was wirst du tun?« »Einen Vorschuß beim Sender erbitten. Allen alten Kram, den ich habe, verkaufen, Kleider, Bücher. Meine Schreibmaschine, meine Uhr, nun ja, alles, was möglich ist, ins Pfandhaus tragen. Wie ein Verrückter andere Arbeit suchen.« »Ich kann auch ein paar Sachen verpfänden, mein Radio, meine Federhalter und meine Uhr, die ist aus Gold«, sagte Javier. Die Augen halb geschlossen, addierte er mit den Fingern und kalkulierte: »Ich glaube, ich könnte dir etwa tausend Soi leihen.«
    Wir verabschiedeten uns auf der Plaza San Martin und verabredeten uns für den Mittag in meinem Dachverschlag in Radio Panamericana. Das Gespräch mit ihm hatte mir wohlgetan, und ich kam gutgelaunt und sehr optimistisch ins Büro, las die Zeitungen, suchte die Nachrichten aus, und zum zweiten Mal fanden Pascual und der Große Pablito die ersten Nachrichten bereits fertig vorbereitet, als sie ins Büro kamen. Leider waren beide da, als Tante Julia anrief, und verdarben mir das Gespräch. Ich traute mich nicht, ihr vor den beiden zu erzählen, daß ich Nancy und Javier gesprochen hatte. »Ich muß dich heute unbedingt sehen, auch wenn es nur für ein paar Minuten ist«, bat ich sie. »Alles ist im Gang.« »Mir liegt plötzlich ein großer Stein auf der Seele«, sagte Tante Julia. »Ich, die ich immer das Schlimmste hab leicht nehmen können, fühle mich jetzt wie ein schlaffer Sack.« Sie hatte einen guten Grund, in die Innenstadt von Lima zu fahren, ohne Verdacht zu erwecken. Sie mußte im Büro der Lloyd Aéreo Boliviano ihren Flug nach La Paz buchen. Gegen 3 Uhr würde sie im Sender vorbeikommen. Keiner von uns beiden erwähnte das Thema Heirat, aber es bereitete mir großes Unbehagen, sie von Flugzeugen sprechen zu hören. Sofort, nachdem sie den Hörer eingehängt hatte, ging ich ins Rathaus, um zu fragen, was für eine zivile Trauung nötig sei. Ich hatte einen Freund, der dort arbeitete und sich nach allem erkundigte und glaubte, es gehe um einen Verwandten, der sich mit einer geschiedenen Ausländerin verheiraten wollte. Die Ergebnisse waren alarmierend. Tante Julia mußte ihre Geburts- und ihre Scheidungsurkunde sowohl vom Außenministerium in Bolivien als auch dem von Peru beglaubigen lassen; ich brauchte meine Geburtsurkunde, und da ich minderjährig war, benötigte ich die notarielle Erlaubnis meiner Eltern, um zu heiraten, oder mußte von ihnen vor einem Jugendrichter »emanzipiert« (für volljährig erklärt) worden sein. Beide Möglichkeiten waren völlig ausgeschlossen.
    Als ich aus dem Rathaus kam, rechnete ich alles durch; allein die Beglaubigung der Papiere von Tante Julia, immer vorausgesetzt, sie hatte sie in Lima, würde bereits Wochen dauern. Wenn sie sie nicht hatte und sie in Bolivien in ihrem Rathaus oder bei den entsprechenden

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