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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gingen in Richtung Malecôn. »Was hast du für schlechte Laune«, hörte ich sie sagen, als wir aufs Meer zugingen. »Du hast den armen Dr. Gumucio angesehen wie ein Würger.«
    »Wen ich erwürgen werde, bist du«, antwortete ich. »Ich warte seit 3 Uhr nachmittags, und jetzt ist es n Uhr nachts. Hast du vergessen, daß wir verabredet waren?«
    »Ich habe es nicht vergessen«, erwiderte sie bestimmt. »Ich habe dich absichtlich versetzt.«
    Wir waren bei dem kleinen Park vor dem Priester seminar der Jesuiten angelangt. Er war verlassen, und obwohl es nicht regnete, ließ die Feuchtigkeit das Gras, die Lorbeerbüsche und die Geranienpflanzen glänzen. Der Nebel bildete gespenstische Schwaden um die gelben Zylinder der Laternen. »Gut, verschieben wir den Streit auf ein anderes Mal«, sagte ich und brachte sie dazu, sich auf die Mauer des Malecôn zu setzen, über dem steil abfallenden Felsen, von dem gleichmäßig und tief das Meer heraufklang. »Jetzt haben wir wenig Zeit und viele Probleme. Hast du deine Geburtsurkunde und deine Scheidungsurkunde hier?«
    »Was ich hier habe, ist mein Flugschein nach La Paz«, sagte sie und tippte auf ihre Tasche. »Ich fliege Montag um 10 Uhr morgens, und ich bin glücklich. Ich habe Peru und die Peruaner satt.«
    »Das tut mir leid für dich, denn im Augenblick haben wir keine Möglichkeit, das Land zu wechseln«, sagte ich, setzte mich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. »Aber ich verspreche dir, eines Tages werden wir in einer Mansarde in Paris wohnen.«
    Trotz ihrer aggressiven Äußerungen war sie bis zu diesem Augenblick ganz ruhig gewesen, leicht spöttisch, sehr selbstsicher. Aber plötzlich zeigte sich in ihrem Gesicht ein bitterer Zug, und sie sprach mit harter Stimme, ohne mich anzusehen: »Mach es mir nicht noch schwerer, Varguitas. Ich kehre deiner Verwandten wegen nach Bolivien zurück, aber auch, weil das mit uns eine große Dummheit ist. Du weißt ganz gut, daß wir nicht heiraten können.«
    »Natürlich können wir«, sagte ich und küßte ihre Wange, ihren Hals, drückte sie fest an mich, streichelte ihr verlangend die Brüste, suchte ihren Mund mit meinem Mund. »Wir brauchen einen bestechlichen Bürgermeister. Javier hilft mir dabei, und Nancy hat schon ein Apartment für uns gefunden in Miraflores. Es gibt gar keinen Grund, pessimistisch zu sein.« Sie ließ sich küssen und streicheln, blieb aber distanziert und sehr ernst. Ich erzählte ihr von dem Gespräch mit meiner Cousine und mit Javier, von meinen Erkundigungen im Rathaus, von der Art und Weise, wie ich meine Geburtsurkunde bekommen hatte, sagte, daß ich sie von ganzem Herzen liebe, daß wir heiraten würden, auch wenn ich einen Haufen Leute deswegen umbringen müßte. Als ich mit meiner Zunge zwischen ihre Zähne drängte, weigerte sie sich, aber dann öffnete sie den Mund, und ich konnte hinein, ihren Gaumen, ihren Kiefer, ihren Speichel schmecken. Ich spürte, wie der freie Arm von Tante Julia sich um meinen Hals legte, wie sie sich gegen mich kuschelte, wie sie mit Schluchzern, die ihre Brust erschütterten, zu weinen begann. Ich tröstete sie mit einem unzusamrnenhängenden Flüstern, und dabei küßte ich sie unaufhörlich. »Du bist doch noch ein junger Bengel«, hörte ich sie unter Lachen und Schniefen murmeln, während ich atemlos sagte, daß ich sie brauche, daß ich sie liebe, daß ich sie niemals nach Bolivien zurückkehren ließe, daß ich mich umbringen würde, wenn sie ginge. Schließlich sprach sie wieder sehr leise und versuchte einen Scherz zu machen:
    »Wer mit einem Bengelchen ins Bett geht, erwacht immer im Nassen. Hast du das Sprichwort schon einmal gehört?«
    »Das ist Kitsch, das kann man nicht sagen«, antwortete ich und trocknete ihr die Augen mit den Lippen und mit den Fingerspitzen. »Hast du die Papiere? Dein Freund, der Botschafter – könnte er sie beglaubigen?«
    Sie war gefaßter, hatte aufgehört zu weinen und sah mich zärtlich an:
    »Wie lange würde das dauern, Varguitas?« fragte sie mit trauriger Stimme. »In wie kurzer Zeit bist du es leid? In einem Jahr, in zweien, in dreien? Findest du es richtig, daß du mich in zwei oder drei Jahren sitzenläßt, und ich muß wieder von vorn anfangen?«
    »Kann der Botschafter sie beglaubigen?« insistierte ich. »Wenn er sie von bolivianischer Seite beglaubigt, wird es leichter sein, die peruanische Beglaubigung zu bekommen. Ich werde im Ministerium irgendeinen Freund finden, der uns hilft.« Sie sah

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