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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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mich lange mit einer Mischung aus Mitleid und Rührung an. In ihrem Gesicht kam langsam ein Lächeln auf. »Wenn du mir schwörst, daß du mich fünf Jahre aushältst, ohne dich in eine andere zu verlieben, nur mich liebst, dann okay«, sagte sie. »Für fünf Jahre Glück begehe ich diesen Wahnsinn.«
    »Hast du die Papiere?« sagte ich und strich ihr die Haare glatt und küßte sie. »Wird der Botschafter sie beglaubigen?« Sie hatte sie bei sich und erreichte es tatsächlich, daß die bolivianische Botschaft sie mit reichlich vielen bunten Siegeln und Unterschriften beglaubigte. Das Ganze dauerte kaum eine halbe Stunde, denn der Botschafter schluckte diplomatisch die Geschichte von Tante Julia: sie brauche die Papiere noch an diesem Morgen, um eine Angelegenheit in Ordnung zu bringen, die es ihr erlauben werde, ihren Besitz, den sie bei der Scheidung bekommen hatte, aus Bolivien herauszu bekommen. Es war auch nicht schwer, im Außenministe rium von Peru die Beglaubigung der bolivianischen Dokumente zu erlangen. Ein Professor der Universität, Rechtsberater des Staatssekretärs, half mir dabei, nachdem ich ihm ein anderes Hörspieldrama aufgebunden hatte: Eine krebskranke Frau, die im Sterben lag, mußte so schnell wie möglich mit dem Mann verheiratet werden, mit dem sie seit Jahren zusammenlebte, damit sie in Frieden mit Gott sterben könne.
    Dort, in einem Zimmer aus uralten kolonialen Hölzern, wo geschniegelte junge Leute herumgingen, im Palacio de Torre Tagle, hörte ich, während ich daraufwartete, daß der durch den Anruf meines Professors eilfertig gewordene Beamte auf die Ge-burts- und die Scheidungsurkunde von Tante Julia noch mehr Marken und Stempel klebte und die entsprechenden Unterschriften einsammelte, von einer neuen Katastrophe sprechen. Es ging um einen Schiffbruch, um etwas beinahe Unbegreifliches. Ein italienisches Schiff, das an der Mole im Hafen Callao festgemacht hatte und voller Passagiere und Besucher war drehte sich plötzlich allen Gesetzen der Physik und der Vernunft zum Trotz um sich selbst, kippte nach Backbord und versank rasch im Pazifik. Zerquetscht, ertrunken und erstaunlicherweise von Haien gefressen, kamen alle Menschen, die sich an Bord befanden, ums Leben. Da waren zwei Damen, die sich neben mir unterhielten, während sie auf irgendeine Angelegenheit warteten. Sie scherzten nicht, sie nahmen den Schiffbruch sehr ernst.
    »Das ist in einem Hörspiel von Pedro Camacho passiert, nicht wahr?« mischte ich mich ein.
    »In dem um 4 Uhr«, nickte die Ältere, eine knochige und energische Frau mit stark slavischem Akzent, »dem von Alberto Quinteros, dem Kardiologen.“
    »Der im vorigen Monat Gynäkologe war«, mischte sich eine junge Frau lächelnd ein, die auf der Schreibmaschine schrieb. Sie tippte sich an die Stirn, um anzudeuten, daß jemand verrückt geworden sei.
    »Haben Sie das Programm von gestern gehört?« erbarmte sich die Begleiterin der Ausländerin liebevoll, eine Dame mit Brille und reinstem Tonfall aus Lima.
    »Dr. Quinteros wollte seine Ferien mit seiner Frau und seiner Tochter Charo in Chile verbringen, sie sind alle drei ertrunken.«
    »Alle sind ertrunken«, bestätigte die ausländische Dame. »Der Neffe Richard und Elianita und ihr Mann, der Rothaarige Antûnez, der Dummkopf, und sogar das inzestuöse Söhnchen Rubencito. Sie wollten ihnen auf Wiedersehen sagen.«
    »Das Komische ist nur, daß auch Leutnant Jaime Concha ertrunken ist, der in ein ganz anderes Hörspiel gehört und der vor drei Tagen bei einem Brand in Callao umgekommen ist«, mischte sich wieder das Mädchen ein und wollte sich vor Lachen ausschütten; sie hatte die Schreibmaschine ruhen lassen. »Diese Hörspielserien sind ein einziger Witz geworden, finden Sie nicht?«
    Ein geschniegelter Jüngling mit intellektuellem Gehabe (Spezialität Grenzrecht) lächelte sie wohlwollend an und warf uns einen Blick zu, den Pedro Camacho mit vollem Recht argentinisch hätte nennen dürfen:
    »Habe ich dir nicht erzählt, daß Balzac diese Art, Figuren von einer Geschichte in die andere übergehen zu lassen, erfunden hat?« sagte er, die Brust vor Weisheit geschwellt, aber dann zog er einen Schluß, der alles wieder verdarb: »Wenn der merkt, daß er ihn plagiiert, schickt er ihn ins Gefängnis.«
    »Der Witz liegt nicht darin, daß er sie von einem Stück ins andere schiebt, sondern darin, daß sie wieder aufer stehen«, verteidigte sich das Mädchen. »Leutnant Concha ist verbrannt, während er Donald

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