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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Gerichten anfordern mußte, würde es Monate dauern, und was meine Geburtsurkunde anging, ich war in Arequipa geboren, und wenn ich irgendeinem Verwandten dort schrieb, er solle sie mir schicken, würde das auch seine Zeit dauern (außerdem wäre es riskant). Die Schwierigkeiten erhoben sich eine nach der anderen wie Herausforderungen, aber statt mich davon abzubringen, bestärkten sie meine Entscheidung (schon als Kind bin ich sehr starrköpfig gewesen). Als ich auf halbem Weg zum Sender war, auf der Höhe von La Prensa, änderte ich in einer plötzlichen Eingebung die Richtung, und fast im Laufschritt wandte ich mich zum Parque Universitario, wo ich schweißgebadet ankam. Im Sekretariat der juristischen Fakultät empfing mich Frau Riofrio, die damit beauftragt war, uns unsere Noten mitzuteilen, und hörte sich in ihrer stets mütterlichen Art und voller Wohlwollen die komplizierte Geschichte an, die ich ihr von dringenden juristischen Vorgängen erzählte, wegen einer einzigartigen Gelegenheit, eine Arbeit zu bekommen, die mir helfen würde, mein Studium zu finanzieren.
    »Das ist den Vorschriften nach verboten«, klagte sie und erhob ihre ganze friedfertige Menschlichkeit hinter dem wurmstichigen Schreibtisch und ging mit mir ins Archiv. »Aber alle nutzen es aus, daß ich ein gutes Herz habe. Eines Tages werde ich meinen Posten verlieren, weil ich euch diese Gefallen tue, und niemand wird einen Finger für mich rühren.« Während sie, kleine Staubwolken aufwirbelnd, die uns zum Niesen brachten, in den Akten der Studenten suchte, versicherte ich ihr, wenn das eines Tages wirklich geschähe, würde die ganze Fakultät in den Streik gehen. Schließlich fand sie meine Akte, in der auch tatsächlich meine Geburtsurkunde lag. Sie warnte mich, sie leihe sie mir nur eine halbe Stunde aus; ich brauchte nur fünfzehn Minuten, um in einer Buchhandlung in der Galle Azängaro zwei Photokopien zu machen und eine davon Frau Riofrfo zurückzugeben. Ich kam frohlockend in den Sender und fühlte mich in der Lage, alle Drachen, die sich mir entgegenstellten, in der Luft zu zerfetzen. Nachdem ich zwei weitere Nachrichten zusammengestellt hatte und für El Panamericano den Gaucho Guerrero interviewt hatte (einen argentinischen Langstreckenläufer und naturalisierten Peruaner, der sein Leben damit zubrachte, seinen eigenen Rekord zu brechen; er rannte Tag und Nacht um einen Platz und konnte essen, sich rasieren, schreiben und schlafen, während er lief), saß ich an meinem Schreibtisch und dechiffrierte aus der bürokratischen Prosa der Urkunde einige Details meiner Geburt – ich war am Boulevard Parra geboren, mein Großvater und mein Onkel Alejandro waren ins Rathaus gegangen, um meine Ankunft auf dieser Welt zu melden –, als Pascual und der Große Pablito, die in den Verschlag kamen, mich ablenkten. Sie sprachen von einem Brand und lachten sich halbtot über das Wehklagen der verschütteten Opfer. Ich versuchte, die abstruse Urkunde weiterzulesen, aber die Kommentare meiner Redakteure über die Polizisten jener Wache in Callao, die von einem verrückten Pyromanen mit Benzin übergössen worden war, wobei alle verkohlt waren, vom Kommissar bis zum letzten Spitzel und sogar dem Maskottchenhund, lenkten mich wieder ab.
    »Ich habe alle Zeitungen durchgesehen, und das ist mir entgangen, wo habt ihr das gelesen?« fragte ich sie. Und zu Pascual: »Vorsicht, Freundchen, nicht alle Nachrichten von heute dem Brand widmen.« Und zu beiden: »Was seid ihr für Sadisten!« »Das ist keine Nachricht, das ist das Hörspiel von 11 Uhr«, erklärte mir der Große Pablito. »Die Geschichte von Wachtmeister Lituma, dem Schrecken der Unterwelt von Callao.« »Der ist auch zu Grieben geröstet«, fügte Pascual hinzu. »Er hätte sich retten können; er wollte zu seinem Rundgang aufbrechen, aber er kam zurück, um seinen Hauptmann zu retten. Sein gutes Herz wurde ihm zum Verderben.« »Nicht den Hauptmann, die Hündin Choclito«, berichtigte der Große Pablito.
    »Das ist nicht ganz klar geworden«, sagte Pascual. »Eins von den Gittern der Zelle ist auf ihn draufgefallen. Wenn Sie Don Pedro Camacho gesehen hätten, als alles verbrannte, das war bombig!«
    »Und erst Batân«, begeisterte sich der Große Pablito großzügig. »Wenn man mir geschworen hätte, man könne mit nur zwei Fingern einen ganzen Brand singen lassen, ich hätte es nicht geglaubt. Aber ich hab 's mit eigenen Augen gesehen, Don Mario!“ Javiers Ankunft unterbrach das

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