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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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mich gerügt, und jetzt schien er bereit, mir zu helfen. »Er hört auf keine Argumente, droht, Julia bei der Polizei anzuzeigen, und ich weiß nicht, was noch alles.« Ich sagte, ich würde mit ihm sprechen und versuchen, ihn dazu zu bringen, die Dinge so zu nehmen, wie sie waren. Onkel Lucho musterte mich von Kopf bis Fuß: Es sei eine Schande, daß ein frischgebackener Ehemann mit schmutzigem Hemd dastehe, ich solle nach Hause gehen, mich waschen und mich umziehen und die Großeltern beruhigen, die sehr besorgt seien. Wir sprachen noch ein Weilchen miteinander und tranken sogar Kaffee, aber Tante Julia kam nicht aus dem Zimmer von Tante Olga. Ich spitzte die Ohren und versuchte zu horchen, ob man Weinen, Ausrufe oder Diskussionen hören könne. Nichts, kein Geräusch kam durch die Tür. Schließlich erschien Tante Julia allein. Ihr Gesicht war gerötet, als hätte sie sehr viel Sonne abbekommen, aber sie lächelte.
    »Jedenfalls bist du noch lebendig und ganz«, sagte Onkel Lucho. »Ich dachte, deine Schwester würde dir die Haare ausreißen.«
    »Zuerst hätte sie mich beinahe geschlagen«, gestand Tante Julia und setzte sich neben mich. »Natürlich hat sie mir ganz schreckliche Dinge gesagt. Aber es sieht so aus, als könnte ich trotz allem in diesem Haus bleiben, bis die Dinge sich geklärt haben.«
    Ich stand auf und sagte, ich müsse zu Radio Panamericana gehen: es wäre tragisch, wenn ich ausgerechnet jetzt meine Arbeit verlöre. Onkel Lucho begleitete mich bis an die Tür, sagte, ich solle zum Mittagessen kommen, und als ich Tante Julia zum Abschied küßte, sah ich, daß er lächelte. Ich rannte in die Kneipe an der Ecke, um Cousine Nancy anzurufen, und hatte Glück, sie kam selbst ans Telephon. Die Stimme blieb ihr weg, als sie mich erkannte. Wir verabredeten uns für zehn Minuten später im Parque Salazar. Als ich hinkam, war das Mädchen schon halbtot vor Neugier. Bevor sie mir irgend etwas erzählte, mußte ich ihr das ganze Abenteuer von Chincha berichten und auf unzählige ihrer unerwarteten Fragen nach Einzelheiten antworten, wie zum Beispiel, welches Kleid Tante Julia bei der Hochzeit getragen habe. Die leicht entstellte Version, wonach der Bürgermeister, der uns getraut hatte, ein schwarzer, halbnackter, barfüßiger Fischer gewesen sei, amüsierte sie, und sie lachte herzlich darüber (glaubte sie aber nicht). Schließlich brachte ich sie dazu, mir zu erzählen, wie die Familie die Nachricht aufgenommen hatte. Es geschah, was zu erwarten war: ein Hin und Her von Haus zu Haus, erregte Versammlungen, unzählige lange Telephongespräche, reichlich Tränen, und wie es schien, hatte man meine Mutter getröstet, besucht, begleitet, als hätte sie ihren einzigen Sohn verloren. Überzeugt davon, daß Nancy unsere Verbündete sei, hatte man sie mit Fragen und Drohungen bedrängt, sie sollte sagen, wo wir waren, aber sie hatte widerstanden, rundheraus geleugnet und sogar ein paar Krokodilstränen vergossen, über die man unsicher geworden war. Auch die kleine Nancy war über meinen Vater beunruhigt.
    »Komm bloß nicht auf die Idee, ihn aufzusuchen, bevor ihm die Wut vergangen ist«, warnte sie mich. »Der ist so zornig, daß er dich umbringen könnte.«
    Ich fragte sie nach dem Apartment, das sie gemietet hatte, und wieder überraschte sie mich mit ihrem Sinn für das Praktische. Heute morgen hatte sie mit der Wirtin gesprochen. Man mußte das Bad in Ordnung bringen, eine Tür auswechseln und anstreichen, so daß das Apartment erst in zehn Tagen bewohnbar war. Das Herz fiel mir in die Hose. Auf dem Weg zum Haus der Großeltern dachte ich, wohin, zum Teufel, wir uns in diesen zwei Wochen zurückziehen könnten.
    Ohne das Problem gelöst zu haben, kam ich bei den Großeltern an und traf dort meine Mutter. Sie war im Salon, und als sie mich sah, brach sie in spektakuläre Tränen aus. Sie umarmte mich heftig, und während sie mir die Brauen, die Wangen streichelte, grub sie ihre Hände in mein Haar, und halb erstickt von Schluchzern, wiederholte sie mit unendlicher Pein: »Mein Söhnchen, Cholito, mein Liebes, was hat man dir angetan, was hat diese Frau dir angetan?« Seit etwa einem halben Jahr hatte ich sie nicht gesehen, und trotz der Tränen, von denen ihr Gesicht geschwollen war, fand ich, sie sah jünger und sehr gut aus. Ich tat alles, um sie zu beruhigen, versicherte ihr, daß niemand mir irgend etwas angetan habe, daß ich selbst beschlossen hätte zu heiraten. Sie konnte den Namen ihrer

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