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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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frischgebackenen Schwiegertochter nicht hören, ohne aufs neue in Tränen auszu-brechen; zwischendurch hatte sie Zornesausbrüche, in denen sie Tante Julia »dieses alte Weib«, »diese Durchtriebene«, »diese Geschiedene« nannte. Plötzlich, mitten in der ganzen Szene, entdeckte ich etwas, worauf ich nie gekommen wäre: mehr als an dem Gerede der Leute litt sie aus Gründen der Religion. Sie war sehr katholisch, und es störte sie nicht so sehr, daß Tante Julia älter war als ich, sondern die Tatsache, daß sie geschieden war (das heißt, daß ich nicht kirchlich heiraten konnte).
    Mit Hilfe der Großeltern gelang es mir schließlich, sie zu beruhigen. Die alten Leutchen waren ein Muster an Taktgefühl, Güte und Diskretion. Der Großvater beschränkte sich darauf zu sagen, als er mir den gewohnten trockenen Kuß auf die Stirn gab: »Mein Gott, du Dichter, endlich bist du da, wir waren schon sehr besorgt um dich.« Und die Großmutter fragte mich nach vielen Küssen und Umarmungen mit einer Art verstecktem Spott ganz leise, damit meine Mutter es nicht hörte: »Und Ju-lita, geht es ihr gut?«
    Nachdem ich geduscht und mich angezogen hatte – es war eine Erlösung, die Sachen, die ich vier Tage lang getragen hatte, in die Wäsche zu werfen –, konnte ich mit meiner Mutter sprechen. Sie hatte aufgehört zu weinen, die Großmutter hatte ihr eine Tasse Tee gemacht und saß auf der Armlehne ihres Sessels und streichelte sie, als wäre sie ein kleines Mädchen. Ich versuchte sie zum Lächeln zu bringen mit einem Scherz, der ziemlich geschmacklos ausfiel (»aber, Mamachen, du solltest glücklich sein, schließlich habe ich eine gute Freundin von dir geheiratet«). Aber dann rührte ich an empfindlichere Stellen, als ich schwor, ich würde das Studium nicht aufgeben, ich würde das Anwaltsexamen machen und möglicherweise sogar meine Meinung über die peruanische Diplomatie ändern (»wer von denen nicht verrückt ist, ist homosexuell, Mama«) und in den Auswärtigen Dienst, Traum ihres Lebens, eintreten. Nach und nach entspannte sie sich und fragte, wenn auch noch immer mit Trauermiene, nach der Universität, nach meinen Zensuren, nach meiner Arbeit im Sender und schalt mich undankbar, weil ich ihr kaum schrieb. Sie sagte, mein Vater habe einen fürchterlichen Schlag erlitten. Auch er erwarte große Dinge von mir und werde darum verhindern, daß »diese Frau« mein Leben ruiniere. Er habe einen Anwalt zu Rate gezogen, die Ehe sei ungültig, sie werde annulliert, und Tante Julia könne als Verführerin Minderjähriger angezeigt werden. Mein Vater sei so jähzornig, daß er mich im Augenblick nicht sehen wolle, weil er fürchte, »irgend etwas Schreckliches« könne geschehen, und er fordere, daß Tante Julia sofort das Land verlasse. Wenn sie es nicht tue, habe sie die Folgen zu tragen. Ich antwortete, Tante Julia und ich hätten gerade deswegen geheiratet, damit man uns nicht trenne, und es sei sehr schwierig, meine Frau zwei Tage nach der Hochzeit ins Ausland abzuschieben. Aber sie wollte nicht mit mir diskutieren: »Du kennst deinen Vater, du kennst seinen Charakter, wenn man ihm nicht folgt…« Und sie verdrehte die Augen vor Schreck. Endlich sagte ich, ich käme zu spät zur Arbeit, wir würden ja noch miteinander sprechen, und bevor ich mich verabschiedete, beruhigte ich sie noch einmal über meine Zukunft und versicherte ihr, daß ich die Anwaltsexamen machen würde.
    Im Colectivo nach Lima hatte ich ein düsteres Vorgefühl. Wenn ich jemanden an meinem Schreibtisch vorfände? Ich war drei Tage fortgewesen, und in den letzten Wochen hatte ich wegen der frustrierenden Vorbereitungen für die Hochzeit die Nachrichten vollständig vernachlässigt, in die Pascual und der Große Pablito wahrscheinlich alle möglichen Dummheiten eingeflochten hatten. Ich überlegte düster, was es neben den jetzigen persönlichen Schwierigkeiten bedeuten würde, auch noch den Arbeitsplatz zu verlieren, und fing an, Argumente zu erfinden, die Genaro jun. und Genaro sen. erweichen könnten. Aber als ich das Gebäude von Radio Panamericana betrat und mir das Herz in die Hose rutschte, war die Überraschung groß, denn der fortschrittliche Unternehmer, den ich im Fahrstuhl traf, begrüßte mich, als hätte er mich vor zehn Minuten zuletzt gesehen. Er machte ein sehr ernstes Gesicht: »Jetzt haben wir die Katastrophe«, sagte er und wiegte schwermütig den Kopf; es schien, als hätte er gerade über die Angelegenheit gesprochen. »Kannst

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