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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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reißen, die bereits damit begonnen hatten, ihnen mit den argentinischen Hörspielserien, diesem entsetzlichen Kitsch, heftig zuzusetzen.
    »Apropos, darum habe ich dich rufen lassen«, fügte er hinzu und sah mich an, als hätte er mich in diesem Augenblick erst entdeckt. »Du mußt uns helfen. Du bist doch selbst ein halber Intellektueller, für dich wird es eine leichte Arbeit sein.« Es ging darum, ins Archiv von Radio Central zu gehen, wo man die alten Texte verwahrte, die aus der Zeit vor Pedro Camacho stammten. Ich sollte sie durchsehen und solche herausholen, die sofort benutzt werden könnten, bis die neuen Serien vom CMQ ankämen.
    »Natürlich wirst du dafür extra bezahlt«, erklärte er mir. »Hier wird niemand ausgebeutet.« Ich empfand große Dankbarkeit für Genaro jun. und großes Mitleid wegen seiner Probleme. Auch wenn er mir nur 100 Soi gäbe, in diesem Augenblick waren sie für mich ein Geschenk des Himmels. Als ich sein Büro verlassen wollte, hielt mich seine Stimme in der Tür zurück:
    »Du, hör mal, ich weiß, du hast geheiratet.« Ich drehte mich um, und mit einer herzlichen Geste fragte er weiter: »Wer ist dein Opfer? Eine Frau, nehme ich an, oder? Na gut, meinen Glückwunsch. Wir werden noch ein Glas darauf trinken.« Von meinem Büro aus rief ich Tante Julia an. Sie sagte, Tante Olga habe sich etwas beruhigt, aber alle fünf Minuten breche es aufs neue aus ihr heraus: »Du bist verrückt.« Es schmerzte sie nicht sehr, daß das Apartment noch nicht verfügbar war (»Wir haben solange getrennt geschlafen, daß wir es auch noch zwei Wochen aushaken können, Varguitas«), und sie sagte, nachdem sie gebadet und sich umgezogen habe, fühle sie sich sehr zuversichtlich. Ich sagte ihr, ich käme nicht zum Mittag essen, weil ich sie mit einem Berg Hörspielserien betrügen müsse, und wir könnten uns erst am Abend sehen. Ich machte El Panamericano und zwei Nachrichten sendungen und stürzte mich dann in das Archiv von Radio Central. Es war eine Höhle ohne Licht, voller Spinnenweben, und als ich eintrat, hörte ich in der Dunkelheit die Mäuse rennen. Überall lag Papier herum, Blätter, aufgestapelt, durch einander, in Pakete verschnürt. In dem Staub und in der Feuchtigkeit mußte ich sofort niesen. Es war unmöglich, hier zu arbeiten, darum trug ich die Papierstapel in die Kammer von Pedro Camacho und setzte mich an den Tisch, der sein Schreibtisch gewesen war. Keine Spur von ihm war zurückgeblieben, weder das Zitatenwörterbuch noch der Plan von Lima, noch seine soziologisch-psycholo gisch-rassenkundlichen Aufzeich nun gen. Das Durcheinan der und die Verschmutzung der alten Hörspielserien vom CMQ waren außerordentlich. Feuchtigkeit hatte die Schrift verwischt, Mäuse und Kakerlaken hatten die Seiten angefressen und beschmutzt, und die Texte waren durcheinander geraten wie die Geschichten von Pedro Camacho. Viel gab es nicht zum Auswählen; man konnte höchstens versuchen, einige lesbare Texte zu finden.
    Etwa drei Stunden hatte ich unter allergischem Niesen in honigsüßen Grausamkeiten herumgeforscht, um einige Hörspielpuzzles zusammenzusetzen, als sich die Tür der Kammer öffnete und Javier erschien.
    »Es ist unglaublich, daß du jetzt, bei den Problemen, die du hast, mit deiner Pedro-Camacho-Manie fortfährst«, sagte er wütend. »Ich komme von deinen Großeltern. Da, lies wenigstens, was dir bevorsteht, und zittere ein wenig.« Er warf mir zwei Umschläge auf den von sehnsuchtsvollen Serienmanuskripten strotzenden Schreibtisch. Das eine war der Brief, den mein Vater ihm am vorigen Abend gegeben hatte. Er lautete:
    »Mario: in achtundvierzig Stunden hat diese Frau das Land zu verlassen. Wenn sie es nicht tut, werde ich mich darum kümmern und lasse alle meine Verbindungen spielen, damit sie ihre Dreistigkeit teuer bezahlen muß. Was dich angeht, so sollst du wissen, daß ich bewaffnet bin und nicht zulasse, daß du dich über mich lustig machst. Wenn du nicht gehorchst und diese Frau das Land nicht in der angegebenen Frist verläßt, werde ich dich wie einen Hund auf offener Straße niederknallen.« Er hatte mit seinen beiden Nachnamen und einem Schnörkel unterzeichnet und ein PS angefügt: »Wenn du willst, kannst du Polizeischutz anfordern. Und damit es unmißverständlich ist, bekräftige ich hier noch einmal meinen Entschluß, dich wie einen Hund abzuknallen, wo immer ich dich treffe.« Und tatsächlich hatte er noch einmal mit noch energischeren Zügen als das erste Mal

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